Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
den »Anruf« -Knopf zu betätigen. Er wartete einen Moment und sagte dann für die Ohren des Fahrers: »Hallo, ich war vorhin bei Ihnen im Computercenter, und ich glaube, ich hab meinen … ach, Sie haben ihn gefunden? Oh, Gott sei Dank. Ja, ich bin in fünf Minuten da und hol ihn ab.«
Als Nächstes rief er Guthries Handy an. Keine Antwort. Das war ein schlechtes Zeichen; Guthrie war immer erreichbar. Dann versuchte er es bei Pancho. Wieder nichts.
Er legte auf. Sein erster Gedanke war, dass er das Handy so schnell wie möglich loswerden musste. Die Nummer war jetzt in der Anruferliste von Panchos und Guthries Handys gespeichert.
Er wusste, dass sie tot waren. Er wusste nicht, wie Rain das Boot aufgespürt hatte, aber irgendwie war es ihm gelungen. Es war die gleiche Geschichte wie in Hongkong. Natürlich war ihm klar gewesen, dass Rain nach einer Möglichkeit zum Gegenschlag suchen würde, aber er hatte gedacht, mit dem Boot als Hütchenspiel und Dox als Geisel wäre Rain kaltgestellt. Alles, was er über Rain wusste, deutete darauf hin, dass Dox sein einziger Partner war. Aber ohne Hilfe hätte Rain ihn so ohne weiteres nicht aufspüren können, und Hilger fragte sich einen Moment lang, wer ihm geholfen haben mochte.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
Er atmete langsam und tief ein und aus, um sich zu beruhigen, um sich neu zu fokussieren. Wenn Rain von dem Boot erfahren hatte, konnte er dann auch von der Operation in Rotterdam erfahren haben? Die Operation selbst wäre Rain gleichgültig; der Mann war ein Söldner, ein Auftragskiller und mehr nicht. Aber er könnte sie nutzen, um Hilger erneut aufzuspüren. Oder er könnte sein Wissen jemandem zur Verfügung stellen, der ein Interesse daran hatte, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Das war zwar unwahrscheinlich, aber genauso unwahrscheinlich war das Desaster gewesen, das sich soeben hier in Singapur zugetragen hatte.
Eine schlimme Sekunde lang überkamen ihn Selbstzweifel. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Rain als Feind zu behandeln. Vielleicht hätte er einfach versuchen sollen, den Mann zu rekrutieren und Dox gleich mit, selbst nach der Sache in Hongkong. Er fragte sich, ob er sein Urteilsvermögen durch den Zorn über die verpatzte Operation hatte trüben lassen und Persönliches mit Beruflichem vermischt hatte. Schließlich hätte von Rains Seite aus einer Zusammenarbeit mit Hilger nichts im Wege gestanden, denn er war an nichts gebunden und pflegte keine albernen Loyalitäten oder dergleichen. Wenn er die Bedeutung von Hilgers Arbeit verstanden hätte, wäre er vielleicht sogar mit eingestiegen. Nihilismus war unnatürlich. Vielleicht hätte die richtige Sache Rain bekehren können.
Er presste die Augen zu und massierte seinen Nasenrücken. Aber vielleicht auch nicht. Denn eigentlich begriff so gut wie keiner, worum es ging. Wo waren die Realisten in der US-Regierung, die Männer, die bereit waren zu tun, was getan werden musste? Nein, die Regierung bestand aus einem Haufen von Feiglingen, die Phantasielösungen für eingebildete Probleme anpriesen und ihre Lösungen dann in Form von Anti-Terror-Gesetzen unter der Bezeichnung »Patriot Act« einem ignoranten Wahlvolk verkauften, das unbedingt glauben wollte, dass die knallharten Sprücheklopfer es tatsächlich beschützten. Hilger fand das einfach zum Kotzen.
Nun denn, er würde sich drum kümmern, um alles. Er war jetzt so nah dran.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich wieder aufs Atmen. Langsam, ein und aus.
Also schön. Angenommen, die Operation ist aufgeflogen. Angenommen, Rain weiß von Boezeman. Schwer vorstellbar, aber dennoch … was fängt Rain mit den Informationen an?
Hilger lächelte. Er kannte Rain inzwischen. Es hatte eine Weile gedauert und ihn allerhand gekostet, aber jetzt kannte er seinen Feind. Rain würde die Informationen nutzen, um Hilger aufzuspüren. Das war das Raubtier in ihm, die Unerbittlichkeit, die er in Rains Augen in Saigon gesehen hatte und auch in seinen Aktionen überall sonst. Vieles andere war unsicher, aber das hier, so wusste Hilger, war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zwei unmittelbare Vorgehensweisen boten sich an. Die eine war eine Notwendigkeit, die andere eine Möglichkeit.
Die Notwendigkeit: unverzüglich nach Amsterdam fliegen. Mit einem gecharterten Jet, falls so schnell kein regulärer Flug zu buchen war. Treffen mit Boezeman, Zugang zur Sprengvorrichtung, diese richtig platzieren und scharf machen.
Die Möglichkeit:
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