Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
Türfenster verriet. Offenbar gehörte das Haus Boezeman oder wahrscheinlich eher der Familie Boezeman, und sie benutzten den Eingang allein. Gut zu wissen.
Das Schloss war neu und könnte ein Hindernis darstellen. Doch nach meiner ersten Einschätzung der Umgebung hielt ich es für klüger, Boezeman in den Vorraum zu zwingen, wenn er nach Hause kam oder das Haus verließ, statt zu versuchen, mir vorher Einlass zu verschaffen und drinnen auf ihn zu warten. Ohne zusätzliche Informationen über seine Lebensumstände und Gewohnheiten wäre das mit zu vielen Unwägbarkeiten verbunden, vor allem mit der Möglichkeit, dass unerwartet irgendwelche Familienmitglieder auftauchten. Dagegen eignete sich die lange schmale Straße mit dem Park auf einer Seite hervorragend dazu, das Haus unauffällig zu beobachten und Boezeman am Eingang zu überrumpeln. Es war wirklich ein Jammer. Hätte ich zwei Stunden, vielleicht auch nur eine früher hier sein können, hätte ich vielleicht eine Chance gehabt, Boezeman zu begrüßen, als er das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Ich wusste nicht, wie er aussah, aber so viele Leute würden hier wohl nicht aus und ein gehen. Es wäre spontan gewesen, ad hoc, und nicht ohne Risiko, aber es wäre machbar gewesen.
Ich ging noch zwei Stunden länger durch die Straßen, sog die Atmosphäre der Gegend in mich ein, konzentrierte mich aber auf die Vossiusstraat. Vom Vondelpark aus hatte ich einen unverstellten Blick auf Boezemans Haus. Das war nützlich, aber nur bedingt. Ich würde zwar sehen können, wenn er kam und ging, wäre aber nicht schnell genug bei ihm, um ihn ins Haus zu zwingen. In der Nähe des Hauses zu warten war möglich, würde aber verdächtig aussehen, wenn ich sehr lange da herumstand.
Ich fragte mich, wie stark wohl sein persönliches Sicherheitsbewusstsein ausgeprägt war. Wer in der Sicherheitsbranche tätig war, hatte selbst nicht unbedingt ein Gespür für Bedrohungen, die von jemandem wie mir ausgingen. Im Job würde er einseitig denken; außerhalb des Jobs würde er sich frei von Feinden wähnen und womöglich nachlässiger sein. Mit Boaz und Naftali als Hilfe könnten wir an jedem Ende der schmalen Straße einen Beobachter postieren. Der dritte würde die Straße auf und ab gehen, und wir würden uns regelmäßig abwechseln, um nicht zu auffällig zu sein. Boezeman musste das Haus morgens verlassen und abends zurückkommen, einerlei, ob er zur Straßenbahn ging oder mit dem Fahrrad zum Bahnhof fuhr oder das Auto nahm. So oder so würden wir ihn kommen sehen, wenn je einer von uns an beiden Straßenenden postiert war, und der dritte wäre dann zur Stelle, wenn er das Haus betrat.
Vorausgesetzt, er machte nicht bei einer Fahrgemeinschaft mit. Vorausgesetzt, er war nicht verheiratet und verließ nicht zusammen mit seiner Frau das Haus oder holte abends die Kinder von der Tagesbetreuung ab, ehe er nach Hause fuhr. Vorausgesetzt, es passierten nicht tausend andere Dinge, die zu berücksichtigen wir nicht die Zeit hatten.
In einem Geschäft am Leidseplein kaufte ich mir eine dicke Wolljacke und rief dann Boaz von einem Münztelefon aus an. Diesmal meldete er sich.
»Sind Sie hier?«, fragte ich.
»Gerade gelandet.«
»Gut. Ist Ihr Telefon gescrambelt?«
»Ja, aber ich möchte die anderen Passagiere lieber nicht zu lange stören.«
»Ich verstehe, es sind Leute um Sie herum. Also, ich hab mich schon umgeschaut. Ich sehe gewisse Möglichkeiten. Wann können wir uns treffen?«
»Wie wär’s mit heute Abend, in dem Hotel, über das wir gesprochen haben, und vielleicht zwei Stunden früher?«
»Ich würde sogar sagen, noch früher. Dann hätten wir etwas Luft, um Boezeman abzufangen, wenn er von der Arbeit kommt.«
»Mal sehen. Ich hab einen Bekannten in der Stadt, der uns Geschenke mitgeben will. Wir wollen doch nicht mit leeren Händen auftauchen.«
Er hatte nicht ganz unrecht. Die Gleichung hatte bereits so viele Unbekannte. Mit Pistolen würden wir zumindest unsere Chancen verbessern, Boezeman still und leise ins Haus zu bugsieren, ihn und jeden anderen, den wir eventuell dort antrafen, in Schach zu halten und ihm die nötige Angst einzujagen, die ihn hoffentlich gesprächig machen würde. Und wir würden wahrscheinlich auch noch andere Hilfsmittel brauchen, um Hilger ausfindig zu machen, falls er tatsächlich in der Stadt war.
»Ich rufe Sie um fünfzehn Uhr wieder an«, sagte ich. »Dann sehen wir ja, wie weit Sie sind.«
Ich fand ein Internetcafé, das
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