Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
ich.
Boaz und Naftali warteten vor dem Hotel auf mich. Boaz hatte das Hawaiihemd ausgezogen und trug eine dicke Daunenjacke und Jeans. Er sah völlig unscheinbar aus, unauffällig. Naftali trug eine Nylonwindjacke und hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Bis auf einen gewissen harten Ausdruck in den Augen, den nicht jeder würde einordnen können, sah Gils Bruder aus wie ein junger europäischer Tourist mit knapper Reisekasse. Wir gingen die Straße hinunter zu einem Pizzaimbiss. Boaz und Naftali bestellten sich was zu essen, und wir setzten uns an einen Tisch ziemlich weit hinten.
»Feiern Sie Weihnachten oder Chanukka?«, fragte Boaz.
»Weder noch.«
»Na, unsere Geschenke werden Ihnen trotzdem gefallen. USP-Tacticals mit Schalldämpfer und außerdem ein paar scharfe, spitze Sachen. Ich liebe die Festtage.«
Ich erzählte ihnen, was ich über Boezemans Haus und Umgebung auskundschaftet hatte, dann besprachen wir, wie wir vorgehen würden. Auch Boaz hielt es für das Beste, Boezeman abzufangen, wenn er am Abend nach Hause kam oder, falls das misslang, am Morgen das Haus verließ. Doch als wir auf Hilger zu sprechen kamen, wurde mir zunehmend unwohl. Wir hatten sein mögliches Auftauchen nicht angemessen berücksichtigt.
»Wenn an der Sache was dran ist«, sagte ich, »und er wirklich eine radiologische Bombe hat, die er scharf machen muss, dann ist er möglicherweise bereits hier. Er könnte schon mit Boezeman Kontakt aufgenommen haben. Wer weiß, vielleicht hat er sogar schon den Zünder aktiviert.«
»Also gut«, sagte Boaz. »Nehmen wir mal an, die Bombe ist bereits scharf. Was macht er als Nächstes?«
»Er macht sich schleunigst aus dem Staub. Die Operation ist erledigt. Vielleicht hat die Bombe einen Zeitzünder, vielleicht wird sie über Handy gezündet. So oder so, er würde auf jeden Fall die Stadt vor der Detonation verlassen wollen, um nicht beim anschließenden Polizeigroßeinsatz geschnappt zu werden. Er würde den Zug nach Brüssel nehmen, direkt von Rotterdam aus.«
»Nein«, sagte Naftali.
Boaz und ich starrten ihn an. Boaz sagte: »Ich hab doch gewusst, dass du sprechen kannst.«
»Er verlässt nicht sofort die Stadt«, sagte Naftali, ohne auf Boaz’ Bemerkung einzugehen. »Er hat alle seine Leute verloren, und er kümmert sich jetzt selbst um Boezeman. Boezeman kann die Operation mit ihm in Verbindung bringen. Also tötet er zuerst Boezeman. Dann macht er sich aus dem Staub.«
Wir waren alle einen Moment lang still. Naftali lag verdammt richtig.
»Also schön«, sagte ich. »Wo schnappt er sich Boezeman?«
Naftali zuckte die Achseln. »Ich schätze da, wo wir überlegt haben, ihn uns zu schnappen.«
Boaz nickte. »Du hast recht. Und mir ist gar nicht wohl dabei, Boezeman an derselben Stelle und zur selben Zeit aufzulauern wie Hilger. Da könnte allerhand schiefgehen.«
»We wär’s, wenn wir ihn anrufen?«, sagte ich. »Boezeman, meine ich. Ihn aufscheuchen. Wenn er irgendwas weiß, werden wir es merken.«
»Das ist riskant«, sagte Boaz. »Damit würden wir ihn warnen.«
Ich zuckte die Achseln. »Er wird auf jeden Fall heute Abend nach Hause kommen. Wenn der Anruf nicht die Ergebnisse bringt, die wir uns wünschen, können wir ihm immer noch zu Hause auflauern, als Plan B.«
Ich holte die Notizen hervor, die ich mir anhand von Kanezakis Informationen gemacht hatte. »Ich hab hier seine Handynummer«, sagte ich. »Sehen wir doch mal, was passiert, wenn unser Freund Boezeman einen unerwarteten Anruf bekommt.«
Boaz reichte mir ein Handy. »Steril«, sagte er.
Ich tippte die Nummer ein. Nach zweimal Klingeln sagte eine tiefe Stimme: »Hoi. «
»Hallo, Mister Boezeman?«
»Ja, am Apparat.«
Ich dachte an die Namen, die Kanezaki im Bulletin Board erwähnt hatte. »Ich bin ein Freund von unseren gemeinsamen Bekannten James Hillman und William Detts.«
Ich wartete. Boezeman sagte: »Ja?«
Nicht »Wie bitte?« oder »Von wem?«. Etwas an der Wortwahl und seinem Tonfall verriet mir, dass ich einen Volltreffer gelandet hatte.
Ich wartete weiter, gespannt, was der Druck meines Schweigens bewirken würde.
»Ähm, geht’s um das Mietprojekt?«, sagte er.
Nicht zu fassen, es funktionierte. Gutgläubiger ging’s ja wohl nicht.
»Jetzt müsste ich Ihnen wohl ein Antwortsignal geben, richtig?«, sagte ich.
»Wer … wer ist denn da?«
»Ich erkläre Ihnen jetzt, wer ich bin, Mister Boezeman. Im Augenblick bin ich entweder Ihr bester Freund oder Ihr ärgster Feind. Ich
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