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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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unveränderliches, unteilbares Ich, bloß eine Hülle ist, zart und zerbrechlich. Angst streift diese Fassade ab. Und wenn du gesehen und akzeptiert hast, was darunter liegt, bist du anders als alle, die nichts Ähnliches durchgemacht haben. Du bist vorzeitig gealtert; sie bleiben Anfänger. Du hast brutale Klarsicht; sie angenehme Illusionen. Du hast in den Abgrund geblickt und kannst noch immer spüren, wie er auch in dich hineinblickt; sie wissen nicht einmal, dass so ein Ort überhaupt existiert. Und für das alles hasst du sie.
    Wieso hatte ich bei Hilger auf Saigon bestanden? Wir hätten uns auch woanders treffen können, in einem anderen Land mit den gleichen operativen Vorteilen. Aber der Eismann wollte Vietnam. Er wollte mich wieder dorthin mitnehmen, in das Land, wo er geboren war, wo er stark geworden war, das Land, das ihn ausmachte. Warum?
    Weil du mich brauchst.
    Ich fuhr zusammen. Es war eine Flüsterstimme, intensiv, vertraut.
    Ich sah mich um. Niemand hatte mich angesprochen. Der Thekenmann stand am anderen Ende der Bar, plauderte mit einer von den jungen Frauen an den Ecktischen. Die Musik klang wie aus weiter Ferne.
    Was redest du denn da?, dachte ich. Ich weiß, dass ich dich brauche.
    Nein. Du versuchst, mich umzubringen.
    Ich versuche, dir einen Platz einzuräumen.
    Blödsinn. Du ignorierst mich. Erstickst mich. Lässt mich nachts in Paris frei rumlaufen, als wäre ich ein blöder Köter, der Gassi gehen muss, damit er nicht auf den Teppich pisst. Und dann, wenn du mich für Dox brauchst, zweifelst du alles an, was ich mache, bekämpfst mich, duldest mich wie eine bezahlte Hilfskraft und kannst es nicht erwarten, dass ich die Arbeit endlich erledigt habe, damit du mich wieder wegschicken kannst. Damit ist jetzt Schluss. Geh mir aus dem Weg.
    Nein. Ich gehöre dir nicht.
    Ach, tatsächlich? Du wärst längst tot, wenn ich nicht wäre. Du wärst gleich in der ersten Nacht gestorben, als du dir bei einem Gefecht in die Hose gepinkelt hast. Dein Leben gehört mir. Du gehörst mir nicht? Ich bin du, verdammt nochmal.
    »Alles in Ordnung?«
    Ich sprang zur Seite, und meine rechte Hand griff nach einem Messer, das in meiner Tasche steckte, ein Messer, das nicht da war. Ehe ich wusste, wie mir geschah, hatte ich den Hocker mit beiden Händen gepackt und nach hinten geschwungen wie einen Baseballschläger.
    Der Thekenmann hatte mich angesprochen. Er machte einen Schritt zurück und hob die Hände, die Augen weit aufgerissen.
    »Hey, Mann«, sagte er. »Ist ja gut. Ist ja gut.«
    Furcht hatte die Marihuana-Trance weggeblasen wie ein arktischer Wind. Ich sah mich um und merkte, wo ich war. Und was ich gerade tat.
    Ich stellte den Hocker hin. Alle blickten mich an.
    Der Thekenmann senkte langsam die Hände. »Sie waren ganz schön weggetreten, Mann. Das Thai-Gras haut ordentlich rein.«
    »Ja, das tut es«, sagte ich und nickte. »Ich denke, ich lass lieber die Finger davon.«
    Ich ging raus und wanderte durch die nasskalte Luft, bis ich ein billiges Hotel fand, wo ich mehrere Stunden schlief. Als ich aufwachte, fühlte ich mich noch immer schlapp, so wie bei einer parasympathischen Reaktion nach einem Kampfeinsatz, aber zumindest hatte ich wieder einen klaren Kopf. Die vielen Flüge, die Beschattungen, die Beinahekatastrophen. Dann Dox befreien, die Erleichterung, dass er wohlauf war. Und jetzt die Sache in dem Coffeeshop … es war wie eine Konfrontation mit deinem ärgsten Feind, um dann plötzlich wieder zurückgerissen zu werden, noch immer bewaffnet, ohne dass es zu einer richtigen Entscheidung kommt.
    Ich ging ins Café Bouwman auf der Utrechtsestraat an der Prinsengracht, um etwas zu essen und einen Kaffee zu trinken. Es war ein nettes Lokal – zwanglos, schlicht, mit alten Holztischen und Lederstühlen und einer Bedienung, die ihre Gäste kannte. Anschließend rief ich Boaz von einem Münztelefon an.
    »Wie sieht’s aus?«, fragte ich.
    »Wir sind schneller fertig geworden als erwartet. Wir haben auf Ihren Anruf gewartet.«
    »Gut. Wie schnell können Sie an dem Treffpunkt sein, den wir ausgemacht haben?«
    »Wir sind schon da. Aber wir haben ein Auto, wir können uns auch woanders treffen. Sagen Sie wo.«
    Normalerweise hätte ich mir etwas überlegt. Aber ich machte mir wegen Boaz im Augenblick keine Sorgen. Und bis zum Krasnapolsky waren es keine fünfzehn Minuten zu Fuß von dort, wo ich war. Es würde Zeit sparen, wenn ich direkt dorthin ginge.
    »Ich bin in fünfzehn Minuten da«, sagte

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