Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
draußen Gott weiß was unternahm, während er selbst hier festsaß, gefesselt und unfähig, auch nur das Geringste zu tun.
Das Essen, das er bekam, war ganz passabel – zwei warme Mahlzeiten am Tag in Styroporbehältern, die er vornübergebeugt mit einem Plastiklöffel aß. Manchmal war es chinesisches Essen, manchmal malaiisches, manchmal indisches. Was nicht viel heißen musste, denn alles drei war problemlos an fast jedem Imbissstand in Südostasien zu bekommen, und es ließ sich gut einfrieren und in der Mikrowelle aufwärmen. Sie konnten also überall sein. In seinem Raum gab es kein Bullauge, und nur das Heben und Senken der Wellen und das Motorgeräusch, wenn sie fuhren, verrieten ihm überhaupt, dass er auf einem Boot war. Er wusste nicht mal, ob es Tag oder Nacht war.
Sein schlimmstes unmittelbares Problem, abgesehen von Scham, Langeweile und dem Gefühl, dass auf seiner Zunge Pilzkulturen wuchsen, war der Mexikaner, den Dox nach dem Onkel aus der Addams Family »Fester« getauft hatte wegen seines Kahlkopfs und seiner irren Augen. Der Mann hatte etwas Sadistisches an sich – und zwar nicht zu knapp. Er machte sich einen Spaß daraus, zwischendurch in die Kabine zu kommen und Dox einen reinzuwürgen. Das erste Mal verpasste er ihm einen Faustschlag in die Magengrube, doch Dox hatte damit gerechnet, und obwohl der Flachwichser einen anständigen Schlag am Leib hatte, hielt sich der Schaden in Grenzen. Aber es gab andere Körperstellen, die empfindlicher waren. Er hatte Dox ein Knie ins Steißbein gerammt, was noch immer höllisch weh tat und das Sitzen in Ketten noch unangenehmer machte als ohnehin schon. Der Mann schlug ganz gezielt zu, wie Dox bald erkannte, um ja keine Spuren zu hinterlassen. Er schätzte, dass sich Hilger, obwohl auf seine eigene Art selbst ein ausgemachter Psycho, von einem gewissen Berufsethos leiten ließ und es nicht gern sah, wenn ein Gefangener grundlos misshandelt wurde. Deshalb war der Kahlkopf auf der Hut.
Die letzten beiden Tage waren besonders schlimm gewesen. Die einzigen Menschen, die er zu Gesicht bekam, waren der Kahlkopf und der jungenhaft wirkende Typ gewesen, der, wie Dox inzwischen sehr wohl wusste, alles andere als jungenhaft war. Er vermutete, dass Hilger und der Blonde irgendwo unterwegs waren. Jetzt, mit weniger Leuten in der Nähe, fühlte Onkel Fester sich offenbar ermutigt.
Die Schläge hatten Dox aber nicht daran gehindert, den Kerl mit Beleidigungen zu provozieren. Im Gegenteil: Um seiner Selbstachtung willen musste er mehr denn je beweisen, dass er ungebrochen war. Im Augenblick gab es nicht viel, worauf er stolz sein konnte, aber diesem Stück Scheiße die Stirn zu bieten, ihn dermaßen zu beleidigen, dass er sich ihn zum persönlichen Feind machte, das war immerhin etwas. Sein Körper bezahlte dafür, aber es half ihm, seine Tatkraft am Leben zu halten.
Dox änderte seine Position auf der Koje und verzog vor Schmerzen im Kreuz das Gesicht. O ja, er ärgerte den Scheißkerl gern, und es machte ihm auch nichts aus, wenn er dafür leiden musste. Denn wenn die Sache hier vorüber war, würde er Onkel Fester für alles bezahlen lassen – und zwar mit mehr Zinsen, als der Mann je würde zurückzahlen können.
Er musste nur erst mal überleben.
11
ICH VERLIESS DAS HOTEL durch den Hinterausgang und unternahm eine Reihe abrupter Richtungswechsel, bis ich überzeugt war, dass mir niemand folgte. Dann ging ich in ein Internetcafé, wo ich nach der üblichen Spyware-Kontrolle das Bulletin Board öffnete, das ich mit meinem CIA-Kontaktmann in Tokio unterhielt, einem jungen Japanisch-Amerikaner namens Tomohisa »Tom« Kanezaki. Kanezaki und ich waren uns einige Jahre zuvor über den Weg gelaufen, als er als idealistischer Neuling bei der Agency frisch nach Tokio versetzt worden war. Er hatte allerdings rasch durchschaut, wie seine Vorgesetzten ihn ausnutzten, und war ein so guter Schüler, dass er den Spieß umdrehen konnte und überlebte. Seitdem hatte ich ihm bei einigen inoffiziellen Angelegenheiten geholfen und konnte stets auf ihn zählen, wenn ich Informationen und manchmal Ausrüstung brauchte, allerdings immer zu einem saftigen Preis. Ich fragte mich, was diesmal der Preis sein würde. Was auch immer, ich würde ihn bezahlen müssen. Ich wusste, dass ich ohne Kanezakis Hilfe keine Chance hatte, Dox aus der Patsche zu helfen.
Das Bulletin Board war leer. Ich wusste nicht, wann Kanezaki wieder reinschaute, daher schickte ich ihm von einem E-Mail-Konto,
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