Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
wahrsten Sinne des Wortes, aber das waren nur die beiden Gelegenheiten, deren er sich bewusst war. Wie oft entgingen wir dem Verhängnis nur knapp, ohne es überhaupt zu merken?
    Tja, soeben hatte er sein drittes Mal überlebt, und jetzt, wo er nicht mehr in Rains Reichweite war, jetzt, wo die Operationellen Erfordernisse hinter ihm lagen und er Bilanz ziehen konnte, was passiert war, setzte das Schwindelgefühl ein, das auf jeden Kampfeinsatz folgte. Seine Beine fühlten sich an wie Gummi, und seine Hände zitterten. Er kannte Rains Ruf und war ihm einmal kurz in Hongkong begegnet, aber vorhin hatte er ihn das erste Mal wirklich hautnah erlebt. Rain war ein Killer, ein Raubtier. Das Zögern, das Händeringen, sogar die Lähmung, die normale Menschen befällt, nichts davon hatte er in Rains Augen gesehen.
    Auch Hilger hatte schon öfter getötet, zuletzt diesen Idioten Drano auf Bali, aber er machte sich nichts vor. Rain war eine andere Liga. Er wusste, seine eigene Fähigkeit zu töten war zwar durchaus beeindruckend, aber auch kopfgesteuert, etwas, was er gelernt hatte. Rain war ein anderes Kaliber. Das Töten steckte in ihm, ganz tief, und was auch immer das für eine Qualität war, wie auch immer sie genannt werden konnte, Hilger nahm an, dass Rain damit auf die Welt gekommen war. Er war nicht sicher, ob sie ein Segen oder ein Fluch war. Eines wusste er allerdings sehr wohl: Er würde sie selbst nicht haben wollen. Dafür war ihm Kontrolle zu kostbar, und es war eindeutig fraglich, ob Rain diesen tödlichen Teil in sich unter Kontrolle hatte. Er hatte in dem Restaurant damit gerungen, und er hätte ihm auch ohne weiteres unterliegen können.
    Hilger überquerte die Straße und sah Demeere, der vor dem Hotel wartete wie auf einen Bekannten oder ein Taxi. Wachsam wie immer. Hilger nickte ihm im Vorbeigehen kaum merklich zu, um ihn wissen zu lassen, dass alles in Ordnung war, und fuhr dann mit dem Aufzug in die Bar im dreiundzwanzigsten Stock. Demeere kam einige Minuten später nach. Sie setzten sich auf die Terrasse, wo eine schwüle Brise die Tischdecken rascheln ließ. Die Verkehrsgeräusche waren schwächer geworden, angenehm, und um sie herum funkelten die Lichter der Stadt.
    »Willst du was trinken?«, fragte Hilger. »Ich könnte was gebrauchen.«
    »Klar«, sagte Demeere. Sie bestellten zwei Bombay Sapphire, doppelte, und als der Kellner gegangen war, sagte Demeere: »Ich konnte nicht bei dir bleiben. Er hätte mich entdeckt, das hab ich gespürt.«
    Hilger nickte. »War richtig so. Wir wussten ja, dass du ihn wahrscheinlich würdest gehen lassen müssen. Es hat hingehauen.«
    »Dann macht er’s also?«
    »Sieht so aus.«
    »Kann er das wirklich in fünf Tagen schaffen?«
    Hilger dachte wieder daran, was er in Rains Augen gesehen hatte. »Ja. Ich denke, er schafft das.«
    »Und dann?«
    »Dann sind wir einen Schritt weiter. Und wir nennen ihm das zweite Ziel.«
    »Und dann das dritte?«
    Hilger sah ihn an und begriff, dass Demeere wieder mal den richtigen Riecher hatte.
    »Das dritte Ziel ist Rain«, sagte Demeere.
    Hilger nickte. »Er ist zu gefährlich, um ihn zu verschonen. Erst recht nach der Sache, die er jetzt für uns erledigt.«
    Die Drinks kamen, und sie tranken schweigend. Der Gin war genau das, was Hilger brauchte. Er konnte spüren, wie der Alkohol ihn entspannte, seine noch immer leicht angespannten Nerven betäubte. Er hatte das alles lange geplant, und es musste noch vieles genau richtig laufen, ehe es vorbei war. Aber der Anfang war gemacht. Es war ein seltsamer Gedanke, dass das Land davon profitieren würde, obwohl die Welt glaubte, dass die Feinde des Landes dahintersteckten. Tja, gute Arznei war oft bitter. Aber nicht der bittere Geschmack war entscheidend. Was zählte, war die heilsame Wirkung.

13
    ICH STIEG IN BANGKOK um und verschlief fast den ganzen sechsstündigen Flug nach Tokio. Am nächsten Morgen um halb acht kam ich am Flughafen Narita an. Anderthalb Stunden später war ich am Bahnhof von Tokio. Ich trat aus einer viergeschossigen Unterwelt in einen kalten, sonnigen Morgen. Einige Minuten blieb ich mit meiner Reisetasche über der Schulter vor der wuchtigen roten Backsteinfassade des Gebäudes stehen, sah mich um und lauschte. Lkw-Motoren und Autohupen. Baumaschinen und Presslufthämmer. Pendler, die zu namenlosen Tausenden an mir vorbeiströmten, die gegen den Wind gebeugt ins grelle Morgenlicht blinzelten, die Aktentaschen wie Rettungsringe umklammerten. Ich spürte die

Weitere Kostenlose Bücher