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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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überwältigende Energie Tokios, und im selben Moment wurde mir klar, wie sehr ich sie vermisst hatte, wie das Parfüm einer Frau, die ich heimlich liebte und die mich mit ihrer Gleichgültigkeit langsam zerstörte.
    Ich seufzte. Diese Stadt war für mich jetzt ein trauriger Ort, von dem die Menschen, die mich mit ihm verbanden, einer nach dem anderen verschwanden – wie Lichter, die nachts in den Fenstern eines fast leeren Hauses erloschen. Zuerst Midori. Dann Harry, in eine Falle gelockt und vom Dach eines Hauses gestoßen. Dann Naomi, die brasilianisch-japanische Tänzerin, mit der ich was angefangen hatte, als ich auf der Jagd nach einem Yakuza-Killer namens Murakami war, und die ich in Rio verlassen hatte, als ich herausfand, dass sie mich an die CIA verraten hatte. Und dann, erst vor einem Jahr, Tatsu, mein einstiger erbitterter Gegner und schließlich mein treuer Freund bei der Keisatsucho, dem japanischen FBI, der dem Krebs erlegen war. Seitdem war Tokio für mich bloß noch eine Durchgangsstation wie andere auch, ein Treffpunkt. Und bald würde auch das vorbei sein, wenn nämlich Kanezaki zurück in die Zentrale beordert oder irgendwo anders hin versetzt wurde oder kündigte, um Karriere in der freien Wirtschaft zu machen. Wenn ich danach noch zurückkäme, würde ich nur einen Friedhof von Erinnerungen vorfinden.
    Ich rief Kanezaki von einem Münztelefon an. »Ich bin’s«, sagte ich.
    »Das ging aber schnell.«
    »Können wir uns sehen?«
    »Natürlich.«
    Das »natürlich« war eine gelungene Imitation von Tatsu, bis hin zu dem leicht gereizten Unterton, der nur unzureichend verbergen sollte, welch übermenschliche Langmut angesichts derart blöder Fragen vonnöten war. Zu hören, dass Tatsus Eigenarten in Kanezaki weiterlebten, von dem ich wusste, dass Tatsu ihn unter seine Fittiche genommen und im Herzen vielleicht sogar als einen Ersatz für seinen verstorbenen Sohn adoptiert hatte, versetzte mir einen traurigen Stich. Zugleich musste ich lächeln.
    »Wie wär’s mit Frühstück?«, fragte ich.
    »Ein frühes Lunch wär mir lieber. Ich hab noch einiges zu erledigen.«
    Das Gegenangebot behagte mir nicht. So hätte er Zeit, irgendetwas zu arrangieren, wenn …
    Wenn was? In den letzten paar Jahren hatte Kanezaki ein halbes Dutzend Gelegenheiten gehabt, mir eine Falle zu stellen. Er hatte es nie getan, und er hätte, soweit ich das sagen konnte, auch keinen Grund dazu gehabt. Ich war urplötzlich aufgetaucht. Er hatte noch etwas zu erledigen, wie er gesagt hatte.
    Dennoch war mir nicht wohl dabei. Wenn ich ihn nicht so dringend gebraucht hätte, hätte ich vielleicht einen Rückzieher gemacht. Stattdessen sagte ich: »Na schön. Wie wär’s mit dem Lokal, wo wir uns beim letzten Mal getroffen haben. Sobald es aufmacht.«
    Das war das Ben’s in Takadanobaba, um halb zwölf. Ein nettes, abgelegenes, irgendwie typisches Nachbarschaftscafé, wo es frische Bagel, Quiche und vorzüglichen Kaffee gab. Ich kannte die Gegend gut. Ich würde früh dort sein, um Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Nur für alle Fälle.
    »Bis dahin«, sagte er und legte auf.
    Ich fuhr mit der Yamanote-Linie nach Takadanobaba und war fast zwei Stunden früher am Ben’s. Ich ging hinter dem Schaufenster eines kleinen Ladens gegenüber und etwas seitlich von dem Café auf Posten, die Augen auf die Straße gerichtet. Japanische Ladenbesitzer stören sich nicht daran, wenn ihre Zeitschriften als Leihbibliothek benutzt werden, und ich machte sattsam Gebrauch davon.
    Nichts löste meinen Radar aus. Kanezaki erschien auf die Minute pünktlich. Im Vorbeigehen warf er einen Blick durchs Ladenfenster. Bestimmt sah er mich in der Ecke stehen, aber er ließ sich nichts anmerken.
    Verdammt, dachte ich. Ich ließ mich nicht gern ertappen, auch nicht bei mutmaßlich freundschaftlichen Treffen. Ich beobachtete ihn noch einen Moment, um mich zu vergewissern, dass er allein war, dann verließ ich den Laden und holte ihn ein, als er gerade ins Ben’s ging.
    »Hey«, sagte ich von hinten zu ihm.
    Er drehte sich ohne eine Spur von Überraschung um. »Hey.«
    »Sie haben mich im Laden gegenüber gesehen.«
    Er zuckte die Achseln. »Ja, da hätte ich mich auch postiert. Aber ich wusste gar nicht, dass sie auf Softpornohefte stehen.«
    »Was lesen die Leute denn wohl, wenn sie so herumtrödeln?«, sagte ich unter leichtem Rechtfertigungszwang. »Ich bin bloß in die Rolle eines typischen Perversos mittleren Alters geschlüpft. Um nicht

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