Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
aufzufallen.«
»Ich glaube, Sie hatten Spaß an Ihrer Arbeit.«
Ich merkte, dass ich diesen jungen Burschen, besser gesagt jungen Mann, der mir bei jeder unserer Begegnungen reifer vorkam, nicht zum ersten Mal unterschätzte. Er wurde immer cleverer, und ich musste cleverer mit ihm umgehen. Er kannte meine Taktiken inzwischen, wusste, dass ich nicht an einem vereinbarten Treffpunkt warten würde. Und er selbst dachte immerhin schon so taktisch, dass er wusste, wo ich mich wahrscheinlich stattdessen postieren würde. Ich durfte ihn nicht länger wie einen Anfänger behandeln. Das war er nicht, schon lange nicht mehr.
Ich schmunzelte. »Vielleicht ein bisschen. Ich war zwei Stunden lang da. Bei den Autozeitschriften wär die Zeit nicht so schnell rumgegangen.«
Wir gaben uns die Hand, ich musterte ihn und nickte dann anerkennend: Vor mir stand ein schlanker Japanisch-Amerikaner Anfang dreißig mit den ernsten Augen eines Menschen, der begriffen hat, dass die Welt nicht so unschuldig ist, wie er mal dachte, und der ahnt, dass er sich unweigerlich mitschuldig macht.
Bei Sandwiches und Kaffee erklärte ich ihm auf Englisch und mit so leiser Stimme, dass uns keiner von den anderen Gästen belauschen konnte, was mit Dox passiert war und was Hilger von mir wollte. Ich erzählte ihm von den drei Aufträgen, die ich erledigen sollte, erwähnte aber nicht, dass ich bereits nähere Einzelheiten wusste. Angesichts der finanziellen Unterstützung, die Jannick von der CIA bekam, hielt ich es für zu riskant, seinen Namen zu erwähnen. Aus Gründen, die ich noch nicht durchschaute, war die CIA-Verbindung für Kanezaki möglicherweise bedeutsam. Er könnte sich verpflichtet fühlen, Jannick zu warnen oder mich irgendwie daran zu hindern, die Sache zu erledigen. Falls Jannicks Schutz für Kanezaki wichtig war, wäre es sogar gefährlich, ihm von dem Auftrag zu erzählen. Wenn einer dir ans Leder will und weiß, wer deine Zielperson ist, muss er dich nicht groß suchen. Er muss einfach nur deine Zielperson finden und dann in aller Ruhe abwarten, bis du auftauchst.
Als ich fertig war, sagte er: »Tut mir leid, das alles zu hören.«
Ich sah ihn an. »Ich hab Ihnen das nicht erzählt, weil ich Ihr Mitleid will, sondern damit Sie was unternehmen.«
»Was erwarten Sie denn von mir?«
Ich wurde allmählich wütend. »Ich erwarte, dass Sie Dox helfen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich da machen kann.«
»Wie viele Jobs hat er für Sie erledigt? Drei? Vier?«
»Wir haben zusammengearbeitet. Aber das heißt nicht …«
»Reden Sie keinen Schwachsinn«, sagte ich, packte die Tischkanten und beugte mich vor. »Er steckt in Schwierigkeiten, in üblen Schwierigkeiten. Wollen Sie ihn etwa im Stich lassen?«
Ich merkte, dass ich mich halb von meinem Stuhl erhoben hatte. Schon allein die Worte auszusprechen schürte meine Wut. Es war der Eismann in mir, der nach einem Grund suchte, jemandem etwas anzutun, irgendwem, für Dox.
Ganz ruhig, dachte ich. Ganz ruhig. Ich atmete heftig aus und setzte mich langsam wieder hin. Dann ließ ich den Tisch los und lockerte die Hände.
Kanezaki war so still wie ein Mann, der um eine Ecke biegt und plötzlich einem knurrenden Kampfhund gegenübersteht. Wenn er nicht gesessen hätte, wäre er zurückgewichen.
Nach einem Moment sagte er: »Dox ist ein guter Mann. Ich bin ihm in professioneller Hinsicht dankbar, und ich finde ihn persönlich sympathisch. Aber er arbeitet frei, auf eigene Verantwortung und auf Auftragsbasis. Das ist seine Entscheidung.«
Ich sah ihn an, noch immer bemüht, mich im Zaum zu halten. Ich erwog, ihm zu sagen, okay, er könne machen, was er wolle. Solange ihm klar war, dass er sterben würde, falls Dox starb.
Ich schüttelte den Kopf. War ich noch bei Trost? Drohungen hatte ich eingesetzt, als ich jung und dumm war. Ich konnte mich glücklich schätzen, lange genug gelebt zu haben, um effektivere Überzeugungsmethoden zu entwickeln. Und die Hilfe, die ich in diesem Fall brauchte, konnte ich nicht erzwingen.
Sei friedlich, dachte ich, als würde ich tatsächlich mit jemandem in mir reden. Sei friedlich.
»Hören Sie«, sagte er und hob die geöffneten Hände. »Ich sage ja nicht, dass ich nicht helfen will. Bloß, ihr zwei schuldet mir noch immer was für die Spielsachen, die ich euch letztes Jahr besorgt habe.«
Er meinte ein Betäubungsgewehr und einige wesentlich tödlichere Waffen, die er Dox und mir in Tokio beschafft hatte. Wir hatten sie gebraucht, um einen
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