Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
Telefon vermutlich ausgeschaltet, aus Angst, ich könnte in der Lage sein, das Signal zu orten. Aber es war trotzdem einen Versuch wert.
Ich hätte Kanezaki auch die URL des Bulletin Board nennen können, das ich mit Hilger benutzte. Vielleicht konnte er mir sagen, von wo darauf zugegriffen wurde. Aber ich beschloss, damit noch zu warten. Selbst wenn Kanezaki über die technischen Mittel verfügte, und dessen war ich mir nicht sicher, hatte ich Zweifel, dass Hilger so nachlässig wäre, seinen Aufenthaltsort durch einen Zugriff auf die Webseite zu verraten. Und falls es Kanezaki gelang, die Seite selbst zu hacken, könnte er meine Kommunikation mit Hilger lesen, einschließlich die über Jannick. Das Risiko wollte ich nicht eingehen, wenn wahrscheinlich nur so wenig dabei herumkam. Zumindest noch nicht.
Ich hatte selbst in dem Bulletin Board nachgesehen. Hilger hatte eine ausführliche Akte über Jannick geladen: Fotos, Privat- und Firmenadresse, Autofabrikat und -modell, alles. Ich sah mir die Fotos eine Weile an. Sie stammten allesamt aus öffentlichen Quellen: sein Jahrbuchfoto von Stanford, Lebenslauf von der Webseite seiner Firma, ein paar Zeitungsausschnitte. Er war blond, mit einem runden Gesicht, einer rechteckigen randlosen Brille und einem unsicheren Lächeln, das durch Entschlossenheit in den Augen ausgeglichen wurde. Keine Überwachungsfotos. Offenbar war Hilger nie so nah an ihn rangekommen.
Die Privatadresse war Christopher Lane, die der Firma East Bayshore Road, beide in Palo Alto. Ich war noch nie in der Stadt gewesen, aber natürlich wusste ich einiges über sie: die Wiege von Hewlett-Packard und anderen Technologieriesen; Heimat der Stanford University; einst eine verschlafene Gegend mit Aprikosenhainen, jetzt das führende Hightechzentrum der Welt, das Herz von Silicon Valley.
Am Flughafen mietete ich einen Mercedes E 500 mit eingebautem Navigationssystem. Mit den zusätzlichen Meilen, die ich würde fahren müssen, würde mich der Wagen um die zweitausend Dollar kosten, aber das war es wert. Ich wusste nicht, wie lange ich Jannick beobachten musste, ehe ich eine Lösung fand, wie ich am besten an ihn rankam, aber in Palo Alto war reichlich Geld angesiedelt, und ich rechnete mit einem hohen Mercedes- und BMW-Aufkommen. Den Einwohnern und der Polizei würde ein Sechzigtausend-Dollar-Auto, das am Straßenrand parkte, weitaus weniger auffallen als ein Buick.
Ich hielt an einem Sportgeschäft und kaufte mir ein Benchmade-Klappmesser mit Zehn-Zentimeter-Klinge. So ein hochwertiges Messer jedes Mal wegzuwerfen, wenn ich ein Flugzeug bestieg, war auf jeden Fall eine teure Angewohnheit, aber immer noch besser, als nichts Scharfes in der Hand zu haben, wenn man es brauchte. Als Nächstes besorgte ich mir in einem Cingular-Laden ein Apple-iPhone. Das Handy, das ich für meinen Kontakt mit Dox benutzt hatte, war jetzt natürlich nicht mehr sicher, und ich brauchte etwas Neues und daher Steriles. Das iPhone hatte einen großen Bildschirm, der praktisch für den Internet-Zugang war – zwar nicht so vielseitig verwendbar wie ein Laptop, aber es war deutlich leichter zu transportieren und hatte obendrein stets Verbindung.
Ich fuhr auf den Interstate 5 Richtung Norden und stellte den Tempomat auf zweiundsiebzig Meilen ein – nur knapp über den erlaubten siebzig Meilen, so dass ich kein Knöllchen riskierte und nicht sonderlich auffiel. Eine ganze Menge Autos überholten mich mit achtzig oder mehr, und ich dankte ihnen insgeheim, weil sie eventuell am Straßenrand lauernde Streifenwagen von mir ablenkten und mich vergleichsweise uninteressant machten.
Ich rief mir in Erinnerung, wer ich war, was ich hier machte – die Geschichte, die ich verwenden würde, falls irgendwas schieflief und ich plötzlich von irgendwem irgendwelche Fragen gestellt bekäme, einem Nachbarn, einem Hotelmitarbeiter, einem Cop. Einsatztarnung, wie es bei den amerikanischen Spionagediensten heißt. Gemeint ist der vorgebliche Grund, den du dir für den Fall zurechtgelegt hast, dass du bei etwas ertappt wirst, was du nicht tun solltest. Dabei handelt es sich um ein ziemlich intuitiv angelegtes Skript, wie jeder weiß, der schon mal eine heimliche Affäre hatte. Wenn einer von deinen Kollegen unerwartet auftaucht, während du dich gerade in der Mittagspause mit deiner Liebsten in deinem bevorzugten abgelegenen Restaurant triffst, und sagt: »Jim! Was machst du denn hier? Und wer ist deine entzückende Begleitung?«, dann solltest du
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