Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
nach einer Japanerin suchen, Vorname Midori, die in den letzten drei Jahren aus Japan in die USA ausgewandert war, derzeit in New York wohnte und in den letzten achtzehn Monaten einen Jungen zur Welt gebracht hatte, vermutlich in New York. Ihre Organisation hatte schon mit sehr viel weniger Informationen Personen aufgespürt.
Sie lag lange Zeit wach und kämpfte mit widerstreitenden Impulsen: Hoffnung und Furcht, Mitgefühl und Zorn, Versuchung und schlechtem Gewissen. Schließlich, als der Morgen schon dämmerte, schlief sie ein.
3
D ELILAH UND ICH BLIEBEN DIE ganze Woche in Barcelona. Meine »Situation«, wie ich sie in Gedanken bezeichnete, beschäftigte mich nicht so sehr, wie ich erwartet hätte, und das hatte offenbar mit Delilahs Gegenwart zu tun, denn ich musste sofort daran denken, wenn sie zwischendurch mal etwas ohne mich unternahm und ich allein war. Dann packte mich eine schwindelerregende Mischung aus Furcht und Freude, und ich war immer froh, wenn wir wieder zusammen waren.
Natürlich hatte die Neuigkeit sie überrascht, aber darüber hinaus hätte ich nicht sagen können, was in ihr vorging. Ich wusste nicht, was ich eigentlich erwartet hatte – dass sie wütend auf mich war? Aggressiv? Schlecht gelaunt? Aber nichts dergleichen. Wir standen meist früh auf und blieben abends lange weg. Wir liebten uns jeden Nachmittag, ehe wir ein Nickerchen machten, und wir sprachen nicht wieder über die Sache.
Der einzige Hinweis darauf, wie es vielleicht wirklich in ihr aussah, war der, dass sie weniger launisch war als damals in Rio. In Rio waren wir das erste Mal über einen längeren Zeitraum zusammen gewesen. Ich hatte eine Weile gebraucht, um mich daran zu gewöhnen, dass sie zwischendurch immer wieder mürrisch und gereizt war. Aber irgendwann begann ich, auch diese Seite an ihr zu mögen, weil sie authentisch war. Sie verriet mir, dass Delilah sich mit mir wohl fühlte, dass sie mir nichts vormachte. Und jetzt fragte ich mich, ob die gute Laune, die sie hier in Barcelona fast durchweg an den Tag legte, unecht war, eine Form von Überkompensation, die verbergen sollte, was wirklich in ihr vorging.
Am Morgen meiner Abreise kam sie mit zum Flughafen. Vor der Sicherheitskontrolle hängte ich mir meine Tasche über die Schulter und überlegte, was ich sagen sollte. Sie blickte mich an, aber ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
»Ich hoffe, du bist vorsichtig«, brach sie das Schweigen.
Das sah ihr gar nicht ähnlich. Ich zuckte die Achseln. »Das Versprechen fällt mir nicht schwer.«
»Ich mache mir eher Sorgen, ob du es auch halten kannst.«
»Ich halte es.«
Sie nickte. »Rufst du mich an?«
Das sah ihr noch weniger ähnlich. »Natürlich«, sagte ich, aber in Wahrheit war ich in Gedanken schon halb woanders.
Ich küsste sie zum Abschied und stellte mich in die Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Als ich mich kurz darauf umdrehte, war sie nicht mehr da.
Sobald ich die Passkontrolle hinter mir hatte, rief ich mit einer Telefonkarte meinen Partner Dox an. Der stämmige ehemalige Scharfschütze bei den Marines hatte mir seine neue Handynummer über unser sicheres Bulletin Board mitgeteilt. Er war zurzeit auf Besuch bei seinen Eltern in den Staaten, und um Midori zu kontaktieren, würde ich seine Hilfe brauchen.
Der Anruf brachte irgendwo auf der anderen Seite des Atlantik Dox’ Handy zum Klingeln. Dann ertönte der schmetternde Bariton: »Dox am Apparat.«
Ich musste schmunzeln. Wenn er nicht gerade durch ein Zielfernrohr blickte, war Dox der lauteste Scharfschütze, der mir je untergekommen ist. Sogar einer der lautesten Menschen überhaupt. Aber er hatte sich als vertrauenswürdiger Freund erwiesen. Und abgesehen von gewissen stilistischen Unterschieden, die mich manchmal zum Wahnsinn trieben, noch dazu als ein verdammt fähiger.
»Ich bin’s«, sagte ich.
»Wer ist ›ich‹? Ich schwöre, falls mir schon wieder einer ein gratis Steakmesser-Set verspricht, wenn ich nur den Handyanbieter wechsle, dann …«
»Dox, ganz ruhig. Ich bin’s, John.«
Er lachte. »Keine Bange, Partner, die Nummer kennt außer dir keiner. Daher wusste ich gleich, dass du es bist. Wollte nur mal sehen, ob ich dich über eine offene Leitung ein bisschen zum Reden kriege. Wie ich sehe, wirst du langsam lockerer, und das ist gut so.«
»Ja, stimmt. Schätze, das hab ich dir zu verdanken.«
Er lachte wieder. »Du musst dich nicht bedanken. Ich weiß, wie du dich fühlst. Was liegt an? Hab nicht
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