Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
Schweizer Offiziersmesser anbot. Ich hatte mich schon fast für die Variante Küchenmesser plus Schulterhalfter entschieden, als ich zufällig auf einen Straßenverkäufer mit dem passenden Sortiment stieß, einen kahlköpfigen Schwarzen unbestimmten Alters mit strahlendem Lächeln und unergründlichen Augen, der mir ein Strider-Klappmesser mit einer zehn Zentimeter langen Recurve-Klinge verkaufte.
Als Nächstes ging ich in einen Army-Navy-Shop und suchte mir eine unauffällige graue Windjacke aus, die mich in der Großstadt praktisch unsichtbar machen würde. Außerdem kaufte ich einen schlichten schwarzen Schirm und ließ den blauen mit dem Logo des Hotels in einer versteckten Ecke des Ladens stehen. Eine Navy-Baseballkappe und ein Navy-Rucksack vervollständigten das Outfit, und entsprechend ausgestattet ging ich weiter in nördlicher Richtung. Ich fiel in einen gleichmäßigen Schritt, nicht zu schnell, nicht zu langsam – jemand, der irgendwas in dem Viertel zu tun hatte, der einen Grund hatte, dort zu sein, aber nichts, was so wichtig war, dass er sich beeilen müsste.
Tatsu hatte mir Midoris Adresse besorgt, eine Wohnung auf der Christopher Street im West Village. Seine hohe Position in der Keisatsucho hatte so ihre Vorteile, was das Besorgen von Informationen betraf, auch wenn die Gegenleistung in einem gelegentlichen inoffiziellen »Gefallen« bestand. Tatsus Zwecke waren nobel, aber er glaubte fest daran, dass sie ein breites Spektrum an Mitteln heiligten.
Ich hatte Midori zuletzt vor über zwei Jahren in Tokio gesehen. Sie hatte mich ausfindig gemacht, um mich wegen ihres Vaters zur Rede zu stellen. Ich hatte zugegeben, dass ich ihn ermordet hatte. Und irgendwie waren wir inmitten all ihrer Trauer und Wut und Verwirrung dennoch ein letztes Mal zusammen im Bett gelandet. Seitdem habe ich viel an diese Nacht gedacht. Ich habe sie Revue passieren lassen, seziert, nach einem Sinn durchforscht. Aber am Ende habe ich immer nur eines vor Augen: Midori auf mir, wie sie sich vorbeugt, als sie mit einem Beben kommt, und durch ihre Tränen hindurch Ich hasse dich flüstert …
Nun denn, wir würden herausfinden, wie tief das Gefühl wirklich war. Und wie dauerhaft.
Ich ging die Sixth Avenue hoch und bog dann links in die Christopher Street. Natürlich hatte ich mir schon vorher mit Hilfe diverser Karten die Route gründlich eingeprägt, doch das unmittelbare Erleben der tatsächlichen Örtlichkeiten ist durch nichts zu ersetzen. Da war es, auf der anderen Straßenseite: ein siebzehnstöckiges Gebäude, anscheinend vor dem Krieg erbaut, davor ein Portier im langen Mantel unter einer grünen Markise. Bei diesem Licht, in diesen Klamotten und mit dem Schirm, den ich zum Schutz gegen den Regen sehr tief hielt, fürchtete ich nicht, entdeckt zu werden. Ich verlangsamte meine Schritte. Ich betrachtete das Gebäude und überlegte, wo ich mich postieren würde, wenn ich derjenige wäre, der hier auf mich wartete. Es gab nicht viele geeignete Stellen. Auf diesem Abschnitt der Straße herrschte Parkverbot, also fiel die Überwachung aus einem Fahrzeug heraus schon mal weg. Und die Restaurants und Schwulenbars, für die die Christopher Street bekannt ist, lagen zu weit von der Wohnung entfernt.
Der Portier war natürlich eine Möglichkeit. Nicht auszuschließen, dass jemand sich an ihn rangemacht und ihm Geld dafür geboten hatte, nach einem Asiaten Ausschau zu halten, von dem man ihm irgendein Aktenfoto gezeigt hatte. Ich speicherte ihn ab, um später noch einmal über ihn nachzudenken.
Ich ging weiter. Vor den Bars am Ende der Straße standen ein paar Leute, die meisten Raucher, aber niemand, der den Eindruck erweckte, Midoris Gebäude zu beobachten. Mir fiel auf, dass in etlichen Lokalen Livemusik geboten wurde, und ich fragte mich, ob Midori sich auch deshalb diese Gegend ausgesucht hatte, weil sie hier abends Konzerte gab. Wahrscheinlich. Ich erwog, einen Blick hineinzuwerfen, nur um zu sehen, ob irgendwer meinen Radarsensor aktivierte, aber wie immer machte ich eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die diesmal gegen übertriebene Gründlichkeit sprach. Falls jemand Midori beobachtete, würde er sich irgendwo in der Nähe ihrer Wohnung postieren und nicht in einer dieser Bars. Und falls tatsächlich jemand in einem der Lokale auf mich wartete, würde er mich ebenso leicht entdecken wie ich ihn, weil mir drinnen weder die Windjacke noch der Schirm Deckung bieten konnten.
Ich nahm eine Zickzackroute Richtung SoHo. Es war
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