Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
vielleicht die Chance, den Fehler wiedergutzumachen, den sie sich mit ihrer Reise nach New York geleistet hatte, und die möglichen Folgen abzumildern, falls Rain es je herausfinden sollte.
Aber was, wenn er es schon herausgefunden hatte? Konnte das eine Falle sein?
Nein, das konnte sie nicht glauben.
Aber du hast ihn auf deine Art hintergangen. Wieso sollte er das Gleiche nicht mit dir machen?
Damit waren ihre Alternativen klar. Sie konnte sich endgültig dem Misstrauen und der Manipulation ergeben, was nichts anderes hieß, als dass sie sich der Angst ergab. Genau davon hatte sie schon eine Kostprobe genommen, als sie nach New York geflogen war, um mit Midori zu sprechen. Der Nachgeschmack war noch immer ziemlich widerlich.
Oder sie konnte auf Hoffnung setzen.
»Wann?«, fragte sie.
»Kannst du morgen hier sein?«
»Wahrscheinlich.«
»Ich gebe dir eine Telefonnummer. Ruf mich an und sag Bescheid.«
Als sie fertig waren, ging sie zurück in ihre Wohnung, um im Internet nach Flügen zu suchen. Um 13 Uhr 20 startete eine Air-France-Maschine vom Flughafen De Gaulle, die um 9 Uhr 20 am nächsten Morgen in Tokio landen würde. Wenn sie sich beeilte, konnte sie es schaffen.
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T ATSU RIEF AM A BEND AN , um mir zu sagen, dass er einige der Dinge habe, um die ich gebeten hatte. Er wies mich darauf hin, dass diesmal ein anderer Bodyguard Wache schob, was aufmerksam von ihm war. Er wusste, dass ich nervös werden würde, wenn ich einen Unbekannten vor seiner Tür sah.
Ich machte mich auf den Weg zum Krankenhaus und legte dabei besondere Vorsicht an den Tag. Wiederholte Treffen an ein und demselben Ort waren ein schwerer Verstoß gegen die routinemäßigen Sicherheitsvorkehrungen, aber im Augenblick gab es nun mal keine andere Möglichkeit.
Der neue Mann klopfte an und ließ mich dann hinein. Tatsu lag diesmal bleich und schwitzend auf dem Bett. Ich betrachtete ihn einen Moment. »Alles in Ordnung?«, fragte ich.
Er nickte und verzog das Gesicht. »Jaja. Es tut … bloß weh, manchmal. Das geht vorbei.«
Ich rückte einen Stuhl näher heran und setzte mich zu ihm, fühlte mich hilflos, während er die Zähne zusammenbiss und stöhnte.
»Ich hol eine Krankenschwester«, sagte ich. »Sie kann dir was gegen die Schmerzen geben.«
Er schüttelte den Kopf. »Die geben mir Morphium. Davon werd ich benommen. Das will ich nicht. Nicht jetzt.«
Nach einigen Minuten hörte das Stöhnen auf, und er atmete gleichmäßiger.
»Das war übel«, sagte er. »Die Schmerzphasen nehmen zu. Die Pausen dazwischen werden immer kürzer. Gib mir das Handtuch, ja?«
Auf dem Nachttisch lag ein feuchtes Handtuch. Ich reichte es ihm, und er wischte sich das Gesicht ab.
»Keine Sorge«, sagte er. »Mir geht’s wieder einigermaßen. Weißt du, Krebs ist einfach ein Trick der Natur, dich dazu zu bringen, dass du freiwillig sterben willst.«
Ich konnte nicht lachen, obwohl ich wusste, dass er es gern gehabt hätte. Aber ich schaffte es, mir ein schwaches Lächeln für ihn abzuringen.
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, und wir saßen einige Minuten schweigend da. Dann sagte ich: »Was hast du für mich?«
Er drückte den Rufknopf. Der Bodyguard kam herein, reichte ihm einen Rucksack und ging wieder.
Tatsu gab mir den Rucksack. Ich öffnete ihn. Er enthielt einen Gebäudeplan und ein Sortiment an Kommunikationsgeräten.
Ich nahm den Plan heraus und faltete ihn auseinander. »Whispers?«
Er nickte. »Und die Kommunikationsausrüstung, die du haben wolltest. Drei Paar.«
Ich schüttelte bewundernd den Kopf. »Wie bist an die Sachen rangekommen?«
Er lächelte. »Es gibt Leute, die mir noch einen Gefallen schulden. Die Frage ist, was stellst du damit an?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Ich muss mir den Gebäudeplan ansehen, dann verschaff ich mir aus nächster Nähe einen Eindruck vom Club. Danach bin ich schlauer.«
»Was ist mit dem Mann, den du einschleusen willst?«
Ich dachte an mein Gespräch mit Delilah. Sie hatte angerufen und gesagt, dass sie kommen würde, aber die Stimmung war angespannt.
»Die Sache läuft«, sagte ich. »Aber ich kann noch nichts garantieren.«
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N ACHDEM ICH MICH VON T ATSU verabschiedet hatte, kaufte ich mir in Shinjuku ein Fernglas, zwei Paar lange Unterhosen und einen Hut. Dann machte ich mich auf, das Whispers auszukundschaften.
Der Club lag in dem eleganten, von Bäumen gesäumten Teil von Minami Aoyama zwischen der Kotto-dori im Osten und der Nireke-dori im Westen, nicht weit
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