Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
vom Kunstmuseum Nezu. Seine unmittelbaren Nachbarn waren trendige Restaurants, schicke Galerien und teure Boutiquen – oder auch ausgefallene Kombinationen aus allen dreien. Allesamt wurden im Norden und Süden begrenzt von zwei namenlosen Straßen. Die nördliche führte zum Club. Die südliche verlief dahinter an einer Reihe von Gebäuden vorbei, die teilweise durch schmale Gassen voneinander getrennt waren.
Nördlich vom Clubeingang befand sich ein Baugrandstück, das einen ganz passablen Aussichtspunkt bot. Ich beobachtete einige Stunden lang, wie Männer vom Parkservice Gästen beim Ein- und Aussteigen die Türen ihrer teuren Limousinen aufhielten, aber viel mehr konnte ich nicht sehen. Dennoch war es gut, mir aus nächster Nähe einen Eindruck von der Umgebung des Clubs verschafft zu haben. Als ich meinen Beobachtungsposten um zwei Uhr morgens verließ, war ich völlig durchgefroren.
Ich kehrte zurück zum Hotel und schlief sechs Stunden. Dann fuhr ich zum Flughafen, um Delilah abzuholen. Als sie von der Zollabfertigung kam, hielt sie nach mir Ausschau, entdeckte mich aber nicht gleich in dem Meer aus überwiegend japanischen Gesichtern. Sie trug Jeans und eine schwarze Lederjacke. Eine braune Umhängetasche hing ihr von der Schulter. Das Haar hatte sie nach hinten gebunden, und sie war ungeschminkt, soweit ich das erkennen konnte. Ein wenig müde vielleicht, aber ansonsten sah sie strahlend aus wie immer.
Während ich sie ungesehen einen Moment lang beobachtete, durchströmte mich eine Flut von widerstreitenden Gefühlen: Dankbarkeit, dass sie für mich hergekommen war; Schuld, dass ich sie gebeten hatte; Reue, dass ich Mist gebaut und den ganzen Schlamassel überhaupt erst verursacht hatte; und Verwirrung, wen und was ich überhaupt wollte.
Ich trat hinter einer Gruppe von Leuten hervor, die auf Freunde und Angehörige und Geschäftspartner warteten. Sie sah mich und nickte.
Ich blieb vor ihr stehen. Wenn wir uns sonst nach einiger Zeit wiedersahen, umarmten wir uns jedes Mal. Heute nicht.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte ich.
Sie nickte. »Wohin?«
»Moment, lass mich das tragen.« Sie ließ zu, dass ich ihr die Tasche von der Schulter nahm, und wir schlängelten uns durch das Menschengedränge in der Ankunftshalle. Sie schaute sich um, und ich fragte mich, ob aus operativen Gründen oder eher wie jemand, der in einer neuen, fremden Umgebung erste Eindrücke sammelt. Vermutlich beides.
»Ich hab einen Van im Parkhaus stehen«, sagte ich. »Bis nach Tokio rein ist es gut eine Stunde Fahrt. Ich erzähl dir alles unterwegs.«
Ich warf ihr einen Blick zu und sah, dass sie mich anschaute, aber ich konnte ihren Ausdruck nicht deuten. »Warst du schon mal hier?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Einmal in China. Noch nie in Japan.«
»Vielleicht kann ich dir ein bisschen die Stadt zeigen. Ich kenn mich ganz gut aus.«
Sie sah mich an. »Erst das Geschäftliche. Nicht wahr?«
Ich dachte, sie wollte mich provozieren. Besser, ich gab keine Antwort.
Auf der Fahrt nach Tokio erzählte ich ihr alles. Natürlich nicht das, was mit Midori in ihrer Wohnung passiert war oder was ich dort empfunden hatte – das wäre weder relevant noch sinnvoll gewesen. Aber alles andere.
Sie hörte still zu, während ich sprach. Als ich fertig war, sagte sie: »Na, da hast du ja alle Hände voll zu tun gehabt, seit wir uns zuletzt gesehen haben.«
»Könnte man so sagen.«
»Dein Freund Dox muss eine richtig treue Seele sein, dass er dir bei der Sache zur Seite steht.«
Die Bemerkung gefiel mir nicht. Ich sagte: »Einerseits ja. Andererseits haben wir in Wajima auch ganz schön abkassiert. Du kannst meinen Anteil haben, wenn du willst.«
Sollte sie doch entscheiden, ob für sie hier das Geschäftliche oder das Persönliche Vorrang hatte.
Sie sagte: »Da müsstest du mir erst mal sagen, wofür du mich bezahlst.«
»Ich glaube, das weißt du.«
»Vielleicht. Ich soll mich als Bewerberin ausgeben und diesen Club für dich ausspionieren.«
»Ja, richtig.«
»Was, wenn ich den Job tatsächlich kriege? Würde es dich stören, wenn ich mit einem der Kunden schlafe?«
Ich blickte sie an. »Ja, das würde es. Du würdest mir nämlich nicht viel nützen, wenn du nicht im Gebäude wärst.«
Ihre Lippen wurden schmaler vor Ärger. Dann lächelte ich, und sie merkte, dass ich sie aufgezogen hatte. Es war vielleicht nicht nett, okay, aber ich musste irgendwas unternehmen, um die Anspannung zu lösen.
Sie
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