Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
aushalten.
»Ich wohne im Hilton, in Shinjuku«, sagte ich. »Es ist nicht das La Florida, aber ganz annehmbar. Du kannst gern bei mir wohnen, wenn du möchtest.«
Kurzes Schweigen. Sie sagte: »Ich glaube, es ist besser, wenn ich woanders wohne.«
Ich hätte fragen können: Besser, warum? Aus persönlichen Gründen oder aus operativen? Aber ich ließ es dabei bewenden.
»Erzähl mir deine Tarnung«, sagte ich, »und ich reservier für dich ein Zimmer in einem passenden Hotel.«
Sie schwieg einen Moment, dachte nach. Dann sagte sie: »Ich lebe in Paris. Mein Mann, ein notorischer Fremdgänger, ist vor Kurzem gestorben und hat mir nichts als Schulden hinterlassen. Ich muss irgendwie Geld verdienen, und ich möchte unter mein früheres Leben einen Schlussstrich ziehen, irgendwas Aufregendes machen, ein Abenteuer erleben. Als ich vom Whispers gehört habe, war ich gleich Feuer und Flamme.«
Ich musste sie nicht nach den Einzelheiten befragen. Ich hatte sie schon im Einsatz erlebt und wusste, dass sie schon bald sämtliche Lügen durchdacht und verinnerlicht haben würde.
»Ich würde sagen, da passt Le Meridien Pacific in Shinagawa. Ist ja naheliegend, dass du dich für eine französische Kette entscheiden würdest, und in Tokio gibt es nur zwei. Das andere ist in Odaiba, ein bisschen weit ab vom Schuss. Das in Shinagawa ist kein schlechtes Hotel. Liegt auch ganz in der Nähe von dem, wo Dox wohnt.«
»Okay.«
Ich holte mein Handy hervor und rief die Auskunft an, die mich mit dem Hotel verband. Ich fragte, ob sie noch Zimmer für heute Nacht und die nächsten fünf Nächte frei hätten. Sie bejahten. Ich sagte, ich würde wieder anrufen, und legte auf.
»Die haben Zimmer frei«, sagte ich. »Sag einfach, du hättest reserviert, dann wird man glauben, sie hätten die Reservierung verschlampt. Nicht weiter tragisch, solange sie nicht voll belegt sind. Es würde seltsam aussehen, wenn du ohne Reservierung auftauchen oder eine halbe Stunde vor dem Einchecken reservieren würdest.«
»Ich weiß.«
Ich sah sie an. »Noch was. Sieh zu, ob du übers Hotel ein Handy mieten kannst. Dein französisches funktioniert hier nicht. Ich würde dir ja selbst eins besorgen, aber …«
»Ich weiß. Wir brauchen was Reguläres.«
Herrje, war sie empfindlich. Na, besser so, als das Risiko einzugehen, irgendetwas Wichtiges zu übersehen.
»Unter welchem Namen checkst du im Hotel ein?«, fragte ich.
»Laure Kupfer.«
»Kupfer mit K?«
»Ja.«
Ich nannte ihr meine Handynummer. Sie notierte sie sich. Ich sagte ihr, wo Dox abgestiegen war – nur ein kurzer Fußweg vom Le Meridien – und dass wir uns am Abend um sieben bei ihm im Hotelzimmer treffen wollten, wenn ich nichts anderes von ihr hörte.
Wir fuhren das restliche Stück schweigend. Als ich sie absetzte, sagte sie, sie wolle ein paar Stunden schlafen. Das war eine kluge Entscheidung. In Paris war es etwa vier Uhr morgens, und wenn bei ihr heute Abend alles gut lief, konnte es spät für sie werden.
»Hast du Bargeld?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
Ich griff in eine Tasche und holte ein paar Scheine hervor. Ich zählte zehn Zehntausend-Yen-Noten ab und hielt sie ihr hin. »Rund achthundert Dollar«, sagte ich.
»Ich such mir einen Geldautomaten«, sagte sie, ohne Anstalten zu machen, das Geld zu nehmen.
»Das wäre Zeitverschwendung«, sagte ich. »Du kannst es mir zurückzahlen, wenn du willst.«
Nach kurzem Zögern nahm sie das Geld. »Ich ruf dich später an«, sagte sie, und weg war sie.
30
I CH MUSSTE EINEN KLAREN K OPF bekommen. Also fuhr ich ins Viertel Jingumae, wo ich den Wagen parkte und dann zu Fuß zu einem Lokal namens Volontaire ging, das ich in guter Erinnerung hatte. Das Volontaire, Kaffeehaus bei Tag und Bar bei Nacht, hatte 1977 seine Pforten geöffnet, etwa zu der Zeit, als ich nach meinen letzten unerfreulichen Tagen als Söldner nach Tokio zurückkehrte. Ich war häufig dort gewesen, als ich noch in der Stadt wohnte. Es liegt versteckt im ersten Stock eines heruntergekommenen keilförmigen Gebäudes in einer Seitenstraße der Meiji-dori und ist das angesagteste Lokal in der Gegend. Platz bietet das Volontaire höchstens einem Dutzend Gästen, die auf verschossenen, roten Hockern mit Veloursbezug vor einer L-förmigen Theke sitzen, an der die Farbe abblättert. Hinter der Bar nehmen an die zweitausend Vinyl-Jazzalben mehr Raum ein als die Flaschen Hochprozentiges, und die Toilette ist so winzig, dass die Tür sich in der Mitte
Weitere Kostenlose Bücher