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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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steckt Finn im äh … Blut …«
    Seitdem sehe ich allen Asiaten ihre Nöte mit westlichen Sprachen nach. Ich kenne einen Chinesen, Tommy, der in Düsseldorf in der Scheidtstraße wohnte. Er spricht sehr gut Deutsch, doch manchmal lässt er kleinere Mitlaute unter den Tisch fallen. Eines Tages beklagte er sich beim Bier in der Kneipe: »Die Tassifah-eh in Düssel-o-f sinn soo unfeunlich.« Es stellte sich heraus, dass ihn ein Taxifahrer nachts aus
seinem Auto herausgeschmissen hatte. Der Chinese hatte nur seine Adresse wiederholt. »Schei-straße, Schei-straße«.
    Tommy guckte verstört, als sich alle am Tisch jetzt wegwarfen vor Lachen - außer mir. Die Nachsicht ist mir in Fleisch und … Blut übergegangen.
    In Fukui waren vor allem die englischen Beschriftungen von Produkten eine ständige Quelle der Heiterkeit für mich und die anderen westlichen Ausländer. (Heute nehme ich sie kaum noch wahr, obwohl sie immer noch da sind.)
    Ein Laib Brot in Plastikverpackung: »All of contents are Burned with all our heart.« Der japanische Brothersteller wollte uns wohl sagen, dass der Inhalt mit Liebe knusprig gebacken war. Leider hat er seinen Entwurf keinem englischen Muttersprachler vorgelegt - daher die kühne Behauptung, das Brot sei von ganzem Herzen verbrannt.
    Solange keine Ausländer sie lesen, stören diese Beschriftungen niemanden. Die japanischen Kunden im Supermarkt nehmen den westlichen Text auf der Verpackung gar nicht wahr. Sie lesen nur die japanische Beschriftung. Westler dagegen lesen vermutlich selbst nach Jahren in Japan zuerst die lateinischen Buchstaben. Erst dann verarbeitet das Hirn die chinesischen Schriftzeichen. Wer gar kein Japanisch kann, der zoomt dagegen ausschließlich das bisschen Englisch heran, das im Gesichtsfeld zu sehen ist.
    »We only premium choice coffee beans to give you aggressive aroma«, sagt uns eine Dose mit Kilimandscharo-Kaffee. »Have a smell of panda droppings. This one is especially fragrant«, hieß es im Schreibwarenladen auf einem Terminkalender. Ob der Gestalter wirklich an Panda-Urin gedacht hatte? Ein Kaffeautomat fragte mich einmal: »I wonder why
coffee tastes so good when you’re naked with your family.« Gute Frage!
    Eine ganz eigene Geschichte waren beschriftete T-Shirts. »Flesh Fucks«, das war noch harmlos. »Sexiest! In World is I elephant woman«, warf ernsthaft die Frage auf, womit sich die Trägerin nun identifizieren wollte. In einem Café in Fukui starrte ich der Bedienung längere Zeit auf den Bauch, denn sie trug eine hellblaue Schürze mit der Aufschrift: »soft seizure. makes come out happiness;« (inklusive der Satzzeichen).
    Die Japaner lieben es auch, Worte aus dem Westen zu importieren. Joshua regte sich immer wieder darüber auf, wenn die Japaner englische Worte zweckentfremden. Das untergrub unser ohnehin angeschlagenes Vertrauen in die Begriffe. Aus Joshuas Sicht ist beim Import solcher Worte etwas schiefgegangen - wie bei Babys, deren Namensbändchen die Krankenschwester nach der Geburt vertauscht hat. Vermutlich sehen wir aber einfach nur Sprache bei der Arbeit zu. Die ganzen lateinischen und englischen Worte im Deutschen benutzen wir ja auch nicht in ihrer ursprünglichen Bedeutung.
    Joshua störte sich zum Beispiel an dem Sportgetränk »Pocari Sweat«. So ein Gesöff trinke er nicht. »Wer will schon Japanerschweiß in der Dose?« Yusuke dagegen fand gar nichts bei dem Namen. »Schließlich weist das am ehesten auf die Zusammensetzung hin, oder?«
    Auf einer Serie von Notizbüchern fand sich eine Art Lufthansa-Logo, daneben stand auf Deutsch einfach und schlicht »Rollbahn«, und dann:
    Ferne Reisen
machen weise

    Die Propeller
drehen sich.

    Das Flugzeug
gewinnt an Höhe.

    Reisen bedeutet
leben.
    Gerade der letzte Block dieses konzisen Gedichts wehte hinüber ins Metaphysische, in Gefilde der unwiderlegbaren Wahrheiten, die auch in ihrem eigenen Gegenteil stimmen. Das erinnerte mich an einen Getränkeautomaten, der die riesige Aufschrift trug:
    Boss is
the Boss!
    Einmal wöchentlich fuhr ich mit dem Rad in den »Tempel der großen erleuchteten Friedfertigkeit«, um Zen-Übungen zu machen. Die Tempelhallen lagen zwischen Kiefern, Kirschbäumen und haushohem Bambus draußen vor der Stadt. Zur Anlage gehörten auch ein Steingarten und ein Park mit kleinen Holzbrücken über Bergbächen.
    Beim Treffen zur Meditation hockten zehn bis fünfzehn Leute auf Matten und starrten auf einen nicht vorhandenen Punkt vor sich hin. Sie hielten die

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