Tokio Total - Mein Leben als Langnase
rund um die drei riesigen Grills, aus denen rauchige Flammen in die Lüftung schlugen. Hier standen acht junge Männer und grillten im Akkord, während sich zwei Mädchen um die Gäste kümmerten - zehn fitte Leute, ständig in Bewegung.
Sie machten einen Riesenlärm. Wenn ein Gast kam, riefen alle zehn im Chor: »Willkommen!« Bestellte einer »sechs
Spieße Schweinezunge!«, dann rief das Bedienmädchen aus vollem Hals rechts zum Schweinebrater »Shun! Sechsmal Zunge!«, dann nach links: »Hiro! Sechsmal Herz!« - Jeden dieser Aufträge bestätigten Shun, Hiro und die anderen ebenso lautstark: »Ja, verstanden, sechsmal Herz!« Als bestellender Gast hatte ich immer das Gefühl, nur eine Nebenrolle in einer Aufführung von »Japanisches Restaurant« zu spielen.
Die Männer trugen weiße Überwürfe, die ihre Arme frei ließen, kurze Schürzen über blauen Hosen und ein Tuch um den Kopf. Teller gab es nicht. Die Brater legten die fertigen Spieße vor den Gast auf eine Metallfläche, die um die Theke lief. Hin und wieder wischten sie die Fläche mit Alkohol ab.
»Na ja, für eine abgelegene Landstadt ganz beeindruckend«, sagte Kenji.
»Und gar nicht weit weg von der Uni«, pries ich mein Fukui an.
»Ja, die Uni ist auch ganz niedlich. Na ja, für dich als Ausländer dürfte es ja reichen.«
»Was meinst du damit?«
»Du bist in Deutschland ja an einer guten Uni mit bekanntem Namen eingeschrieben. Dann macht es vermutlich nichts, wenn du ein Jahr in Fukui bist.«
Ich blickte zu Yusuke und Akiko hinüber, die echte Fukui-Studenten waren, und zweifelte für eine Sekunde daran, ob ich Kenji wirklich mochte. Dann begriff ich, dass alle Japaner für immer an meiner Intelligenz zweifeln würden, wenn sie von meinem Studienort hörten. Das Prestige der großen Hochschulen überstrahlt alles. Auf eine Landuni geht dagegen nur, bei wem es einfach nicht für mehr langt.
»Ach, weißt du«, sagte ich zu Kenji, »für einen einfachen Ausländer wie mich reicht Fukui völlig!«
Um ihm doch noch die Schönheiten Fukuis zu vermitteln, gingen wir mit Kenji am Kernreaktor angeln. Die Küste ist ohnehin reich an Fisch. »Aber in der Nähe der großen Atomkraftwerke gibt es sogar noch viel mehr zu holen«, sagte Yusuke. »Das Kühlwasser wärmt das Meer, und das zieht besonders leckere Arten an.«
»Ist das nicht gefährlich?«, fragte ich.
»Wieso soll das denn gefährlich sein?«
»Wegen Radioaktivität und so.«
»Aber Finn, normalerweise kommt doch gar keine Radioaktivität aus einem Atomkraftwerk heraus. Ich habe das mit Yusuke schon öfter gemacht«, sagte Akiko.
»Das sind ja tolle Zeitvertreibe, die ihr hier auf dem Land habt«, murmelte Kenji.
Einmal ist keinmal, beruhigte ich mich. Mit dem Auto von Akikos Mutter fuhren wir hinaus zum Kernkraftwerk Tsuruga. Yusuke wusste eine kleine Bucht knapp außerhalb der Absperrungen, die öffentlich zugänglich war. Ein alter Betonpier lief einige Dutzend Meter ins Wasser hinaus, bevor er bröckelig versank. Vor der Bucht zog Yusukes Theorie zufolge das angewärmte Kühlwasser mit der Meeresströmung vorbei und lockte die Fische an. Er besaß eine Sammlung von Angelruten und konnte mir und Kenji welche leihen. Außer uns waren noch neun oder zehn andere Angler da, was mich ein wenig beruhigte. »Atomangeln, das könnt nur ihr Japaner euch ausdenken«, sagte ich.
»Und ich dachte, auf dem Lande gäbe es nur Pachinko-Spielhallen,
Love Hotels und Convenience Stores als Zeitvertreib«, murmelte Kenji.
Yusuke zog zwei Fische aus dem Wasser, Akiko und ich je einen und Kenji keinen. Meiner war ziemlich klein. Und hatte er nicht ein auffälliges Geschwür am Kopf? War die Verdickung unten am Leib kein Tumor? Der Fisch sei ganz normal, versicherte mir Yusuke. Ich hätte im Gegenteil ein Riesenglück gehabt, gleich beim ersten Versuch eine Suzuki geangelt zu haben.
»Wenn der Monju noch laufen würde, könnten wir sogar in einer besseren Bucht angeln. Aber seit dem Unfall produziert der Reaktor keine Wärme mehr«, sagte Yusuke.
»Unfall?«, fragte ich.
»Ja, ein Stück weiter an der Küste liegt ein Brutreaktor, an dem es vor zwei Jahren diesen Störfall gegeben hat.«
»Ach, das ist hier?«, fragte Kenji interessiert. »In der Anlage soll es ja ganz schön gebrannt haben.« Ich blickte auf den Fisch im Eimer.
»Aber anders als bei dem Tsuruga-Zwischenfall von 1981 ist dabei keine Radioaktivität ins Meer ausgetreten«, sagte Akiko in beruhigendem Ton.
»Wo war dieser
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