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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Tsuruga-Zwischenfall?«
    »Na, hier an dem Kraftwerk. Aber das ist ja jetzt schon lange her. So, und jetzt lasst uns den Fisch grillen!«
    Die Küste stieg in der Gegend des Kernreaktors steil an, so dass wir uns über dem Reaktor an den Hang setzen konnten, nicht weit vom ersten Ring der Stacheldrahtzäune entfernt. Wir öffneten ein paar Getränkedosen und blickten übers Meer, vor uns die flache weiße Kuppel des Reaktorgebäudes, das in der Strandlinie lag wie ein gelandetes Raumschiff. Der
Himmel war bedeckt, und jetzt am Abend unterschied sich die grauweiße Farbe des Meeres nur in Schattierungen von der des Atomkraftwerks. Als die Sonne untergegangen war, strahlte dagegen die Reaktorkuppel als einzige Lichtquelle vor einem tiefschwarzen Ozean. »Wirklich schön hier«, sagte Akiko und nahm einen Schluck.
    »Es ist echt etwas Besonderes«, sagte Kenji und raffte sich zum größtmöglichen Lob auf: »So was haben wir in Tokio nicht.«

    Ein Jahr nachdem ich in Fukui gelandet war, musste ich nach Deutschland zurück. Trotz langer Sitzungen im Zen-Tempel war ich der Erleuchtung nicht nähergekommen, dafür war einfach zu viel passiert. Akiko studierte in Fukui weiter und suchte dann nach einem internationalen Arbeitgeber. Yusuke machte mehr schlecht als recht seinen Abschluss. Miguel erhielt seinen Master als Ingenieur. Kenji wurde mit den Weihen seiner Tokioter Edel-Uni von einem Großunternehmen genommen.

Japaner und die Realität oder Tokio als Vergnügungspark
    Für die Japaner ist Realität nicht dasselbe wie für Europäer. Sie sind eher bereit, verspielte Scheinwelten zu akzeptieren, und fühlen sich eigentlich nur in Disneyland richtig wohl. Deshalb gestalten sie ihre ganze Hauptstadt als Vergnügungspark - und verkleiden sich gerne.

    Genau neun Jahre nach dem Auslandsstudium traf ich meine Fukui-Freunde in Japan wieder. Seitdem hatte ich eine Journalistenschule besucht und als Redakteur beim Handelsblatt angefangen. Der Chefredakteur schickte mich 2006 wegen meiner Japankenntnisse als Korrespondent nach Tokio. Schon am ersten Tag wurde mir klar: Das Land hatte sich kaum verändert. Es hatten sich bloß die Herren der Lebensmittelindustrie entschlossen, das heilige Ritual des Reiswaschens abzuschaffen. Es gab jetzt in jedem Supermarkt vorgewaschenen Reis. Früher wäre das undenkbar gewesen, aber die Sitten verfallen nun einmal auch in Japan unaufhaltsam.
    Mit Kenji hatte ich die Jahre über problemlos Kontakt gehalten. Seit er nahtlos nach der Uni in seine Firma eingetreten war, hatte sich seine dienstliche E-Mail-Adresse nicht verändert. Einige Tage nach meiner Ankunft schrieb ich ihn an, und wir verabredeten uns fürs Wochenende.

    Auch Miguel arbeitete seit dem Abschluss in Tokio. Das wusste ich, doch wir hatten schon seit Jahren nicht mehr gemailt oder telefoniert. Ich hatte auch gehört, dass er mit einer Japanerin verlobt war und sie heiraten wollte. Ich suchte über Skype nach Namen aus der Fukui-Zeit und fand ihn prompt. Im Textchat gab ich ihm meine Telefonnummer.
    Ich staubsaugte am Samstagmorgen das Wohnzimmer, als mein Handy klingelte. Eine Stimme meldete sich auf Japanisch. »Hier spricht die Polizei. Mit Ihrer Ausländeranmeldung ist etwas nicht in Ordnung. Ihnen droht sofortige Ausweisung.« Ich brauchte noch weitere drei Sätze, bis ich kapierte, wer dran war. Miguel sprach das japanische »dsch« wie in »Fuji« immer noch wie ein deutsches »j«.
    »Verarsch mich nicht«, sagte ich und hoffte, dass es nicht versehentlich doch die Polizei war. »Du und dein lateinamerikanischer Humor«, sagte ich auf Englisch. »Wann können wir uns treffen?«
    »Weißt du, dass es hier in Tokio einen Akiyoshi gibt?«
    »Einen was?«
    »Den Bratspießchenladen Akiyoshi aus Fukui. Er hat eine Filiale in Ikebukuro aufgemacht.«
    Das war nur zwei U-Bahn-Stationen weit weg.
    »Ich bin schon mit einem Freund verabredet, Kenji - erinnerst du dich, er hat mich mal in Fukui besucht. Macht es dir was aus, wenn er mitkommt?«
    Tatsächlich sah der Bratspießladen Akiyoshi 2007 in Tokio innen so ähnlich aus wie Akiyoshi 1997 in Fukui, nur neuer und steriler. Der Filialleiter war bereits ein Freund von Miguel und behandelte uns wie Ehrengäste. Das Bier und die Spießchen
kamen besonders schnell. Wir nahmen Haut, Knorpel und Leber.
    »Hast du deine Japanerin geheiratet?«
    Er zeigte mir seinen Ehering.
    »Kinder?«
    »Noch nicht.«
    Ich sah mir Miguel genauer an. Er wirkte distinguierter durch sein Leben als

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