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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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richtete gerade der Wolf die Kostüme von drei Schweinchen. Einige Meter weiter erspähte ich eine größere Gruppe Außerirdischer und mehrere Mädchen in etwas, das aussah wie eine deutsche Handwerkerkluft. Das ganze Gelände wimmelte von verkleideten Menschen.
    Ich kam am Informationsschalter vorbei und fragte, was los sei.
    »Heute ist der Verkleidungsspiel-Ausscheidungswettbewerb auf der Freibühne. Sie können einfach hingehen und zusehen. Gerade läuft das Karaoke-Wettsingen der Finalisten.«
    Auf der Hauptbühne sangen vier Plüschbälle in grellem Pink unisono ein Lied von einer J-Pop-Gruppe.

    »Worauf kommt es hier an, um zu gewinnen?«, fragte ich die halbwüchsigen Orks neben mir.
    »In den Vorrunden entscheidet die Jury nur über die Verkleidung. Jetzt im Finale muss man auch was können. Derzeit ist Karaoke angesagt.«
    Die Jury gab das Zwischenergebnis bekannt: Die Pelzbälle kamen weiter, dafür schied eine Dreiergruppe aus: »Bohnenmus-Brötchen-Mann und seine Freunde, Konfitüren-Toast-Girl und Creme-Croissant-Junge«. Dafür schieden die Pelzbälle in der nächsten Runde beim Tanzwettbewerb aus. Sie konnten sich in den Kostümen kaum bewegen.
    In der Tokyo Dome City drängen sich auch die Attraktionen dicht an dicht. Neben einem echten historischen Landschaftsgarten und dem größten überdachten Baseballstadion der Stadt schwingt sich eine Achterbahn um einen Platz mit Bäumen, Brunnen, einer Wildwasserbahn und Karussells. Diese Achterbahn schießt durch die Mitte eines Riesenrads. Ein Gruselhaus, Fastfood, ein Fallturm, alles da. Angeschlossen sind auch ein Kegel- und Sportcenter und eine riesige Filiale der staatlichen Pferdewettgesellschaft. Tausende von Männern fiebern in einer großen Halle rauchend vor Großbildschirmen mit, wenn die Rennen laufen. Wenn alles vorbei ist, stürmen sie zu einer Hunderte von Metern langen Reihe von Automaten, die ihnen die Gewinne auszahlen.
    Im angeschlossenen Shoppingcenter »Spa LaQua« sind vier Stockwerke mit Geschäften und Restaurants untergebracht. Der Buchladen bietet auch sprechende Plastikbananen an, die einen zur gesunden Ernährung erziehen wollen. Ganz oben liegt das Fitnessstudio, in dem ich mich als Mitglied einschrieb. Es fühlte sich komisch an, in so einer
Scheinwelt eine reale Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Jedes Mal wunderte ich mich, wenn das Essen hier wirklich nährte. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn sich alles hier Gekaufte beim Verlassen des Geländes in Luft aufgelöst hätte. Dabei waren das »Mangia«, ein Italiener, und der »Rote Tiger«, ein Laden für chinesische Teigtäschchen, richtig gut.
    Das Baseballstadion, der eigentliche Tokyo Dome mit 55 000 Sitzen, ist in Japan so bekannt, dass die Medien ihn jedes Mal nennen, um große Wassermengen anschaulich zu machen. »In der Talsperre befinden sich auch nach dem Dammbruch noch 30 Millionen Kubikmeter Wasser. Das ist zwanzigmal der Inhalt des Tokyo Dome«, sagte Moderator Ogura-san im Frühstücksfernsehen. Ich war dann jedes Mal etwas stolz, schließlich lag der Dome in meiner Gegend.
    Von meinem Fitnessstudio aus schaute ich über die Dächer von Tokio. Vor mir lag zunächst die Kunstlandschaft der Tokyo Dome City mit ihren Alleebäumen, Springbrunnen, Karussells und dem weißen Ei des Baseballstadions. Wenn die Achterbahn rechts den Berg auf das Shoppingcenter hinaufgekrochen ist, donnert sie über das Dach hinweg und schießt links wieder hinunter. Alle fünf Minuten einmal. Beim ersten Mal dachte ich noch, es bebe die Erde. Ich wäre fast unter der Hantelbank in Deckung gegangen.

    Zur Tokioter Vergnügungslandschaft gehört auch das Umland, das sich damit abgefunden hat, die Hauptstadt zu bespaßen. Wir fuhren öfter raus in die Badeorte - diesmal zwölf Leute in drei Autos. Ich saß vorne neben Kenji, der sich kürzlich einen Toyota Wish zugelegt hatte.

    In dem Ort Isawa kannten wir ein Reisehaus mit heißen Quellen, das einen umwerfend schönen Badebereich hatte. Wir belegten drei Tatamizimmer. Abends aßen wir in dem Raum, nachts schliefen wir darin. Von einem kleinen Erker aus öffnete sich der Blick auf die Berglandschaft. Wie so viele Ryokan hatte der Kasten jedoch seine besten Zeiten schon hinter sich. Der Teppich war verblichen, den Tischlerarbeiten waren die Jahrzehnte anzusehen. Aber Ryokans altern vorteilhaft, weil auf den Zimmern Holz überwiegt und die Vulkanbäder aus Naturstein gebaut sind.
    Die Lobby strahlte den Charme eines nordkoreanischen

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