Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
Vom Netzwerk:
der Rückreiseverkehr der Büroangestellten wieder anfängt. Nach Dienstschluss sind erst die Izakayas in der Nähe der Bürotürme überfüllt, danach die Bars in den
schmutzigeren Vierteln. Am Wochenende strömen alle in die gleichen Einkaufsparadiese - in die jeweils neuesten.
    Ich kapierte erst langsam, wie weit sich der Großraum Tokio wirklich erstreckt. Die Innenstadt mit den Zentren entlang der Ringbahn konnte ich noch einigermaßen überschauen, auch wenn jede dieser Gegenden größer ausfiel als eine mittelgroße deutsche Stadt. Diese verschiedenen Stadtzentren erreichte ich noch bequem mit dem Fahrrad. Von mir aus nach Shinjuku brauchte ich zwanzig Minuten, von dort zum Tokioter Hauptbahnhof etwa eine gute halbe Stunde. Doch um den S-Bahn-Ring herum erstreckt sich die Betonzivilisation in alle Richtungen weiter. Die Stadt Kawasaki, wo Kenji wohnte, ist mit dem Expresszug zwanzig Minuten entfernt, aber dazwischen reißen die Häuser nicht ab.
    Weil asiatische Großstädte sich ständig umbauen, ist es schwer, auf dem Laufenden zu bleiben. »Wollen wir alle zusammen in Roppongi shoppen gehen?«, fragte Sachiko.
    »Ja, lass uns zum Mori-Tower fahren«, sagte ich. Diese Vergnügungswelt mit Shops, Restaurants und Museen hatte vier Jahre zuvor eröffnet. Der Bau hatte etwa drei Milliarden Euro gekostet und war sofort zur Attraktion Nummer eins dieses Viertels aufgestiegen.
    Sachiko und Akiko guckten mich jedoch wider Erwarten entgeistert an. »Den Mori-Tower in Roppongi Hills? Das ist doch sooo was von out. Wir gehen natürlich ins Tokyo Midtown, das ist derzeit die angesagte Location.«
    Der Midtown-Wolkenkratzer war mit 248 Metern noch einige Handbreit höher als der Mori-Tower, zudem waren die Shops, Restaurants und Museen einen Tick schöner und teurer. Klar, da mussten wir hin.

    Bei mir in der Gegend lag auch ein echter Vergnügungspark, eine Scheinwelt mitten in der Scheinwelt: die Tokyo Dome City. Schwänzende Oberschüler gehen dort gern hin. Wenn ich da im Café saß, waren oft mehrere Tische um mich herum mit jungen Leuten besetzt, die eigentlich im Unterricht sein sollten - schließlich geht die Schule mindestens bis drei Uhr -, einige mit, andere ohne Uniform. Sie belegten oft zu siebt einen Tisch für vier Personen und gingen dann Achterbahn fahren. Dabei ließen sie ihre Sachen einfach so liegen: Handys und Portemonnaies auf dem Tisch, Taschen und Jacken auf den Stühlen. Mitten in Tokio. Hinterher war jedes Mal noch alles da. Meine Erscheinung störte da anscheinend auch nicht, obwohl ich Ausländer war.
    Allerdings hatte eine Oberschülerin mich mal erwischt, wie ich den Inhalt ihrer Handtasche anstarrte. Das gesamte Innenleben der Tasche war mit niedlichen Figürchen verziert. Am rosafarbenen Handy baumelte ein Kätzchen von Hello Kitty. Sogar das Notizbuch war von roten Muscheln bewachsen. Die Tasche stand wirklich direkt neben meiner Hüfte. Anfangs schielte ich nur rüber, dann wuchs meine Neugier. Von der Schülergruppe war nichts zu sehen. Also guckte ich neugierig genauer hin, denn ein Kugelschreiber schillerte auffällig in Malvenfarbe und Hellrot. Da tauchte einer der Jungs aus der Gruppe von hinten auf, offenbar hatte er mich durch die Scheibe gesehen. Er tuschelte mit den anderen, während sie sich wieder setzten. Die Besitzerin der Tasche warf mir einen Blick zu, der sagte: »Hentai! - Perverser!«
    Im Vergleich zu Deutschlands Städten ist in Tokio wirklich immer etwas los. Wenn eine Ecke gerade angesagt ist,
sammeln sich dort einfach alle. In ihren engen Wohnungen haben es viele Japaner nicht sonderlich schön. Bis auf eine Minderheit, die ihr Zimmer überhaupt niemals verlässt, streben sie dahin, wo alle anderen Japaner gerade auch sind. Die jüngeren von ihnen machen am Wochenende aus den angesagten Plätzen einen Laufsteg der niedlichsten Röcke und der auffälligsten Hosen. Deutschland durchweht im Vergleich dazu eine gediegene Ruhe.
    In die Tokyo Dome City stolperte ich zum ersten Mal am Tag nach meiner Ankunft. Schon auf dem Weg kam mir eine Gruppe von sieben Zwergen mit einer Prinzessin entgegen. Die Verkleidungen hatten sie offenbar in tagelangem Aufwand gebastelt: die Zwerge in unterschiedlichen Erdfarben, die Prinzessin mit prächtigem Kleid und hoher Krone. In der hoch gewachsenen Prinzessin steckte offenbar ein schlacksiger Junge Anfang zwanzig. Im Durchgang zur Tokyo Dome City blockierten drei Hobbits, ein Zauberer und ein Krie - ger den Weg. Auf der Treppe dahinter

Weitere Kostenlose Bücher