Tokio Total - Mein Leben als Langnase
von einem japanischen Vertreter unserer Firma begrüßt.« Dann sah er meine hochgezogenen Augenbrauen und fügte hinzu: »Aber vielleicht ist das für Sie gar nicht so wichtig?«
Ich nickte. Er nickte auch.
Zwar wissen so gut wie alle Japaner, woher ihr Reichtum kommt: vom Handel mit dem Ausland. Dennoch kommen immer mal wieder welche auf die Idee, sich die ganzen Umstände mit dem schwierigen Ausland wieder vom Leib zu schaffen. Der Animationsfilm »Vexille« beispielsweise malte sich aus, was nach einer erneuten Abschließung des Landes passieren würde. Diese Zukunftsvision ist allerdings ziemlich düster ausgefallen: Das Land fällt auf den Lebensstandard von vor zweihundert Jahren zurück. Ein Vertreter der kleinen »Restaurationspartei Neuer Wind« verstieg sich jedoch in einer Wahlkampfrede zu der Idee, Japan erneut gegen das Ausland abzuschotten. Er gab dem Ganzen jedoch einen modernen Anstrich: »Die Globalisierung macht die Arbeitsplätze und unsere japanische Art kaputt. Legen wir eine Kette um unser Land, und führen wir wieder ein Leben, das dem Tenno Ehre macht!« Er schaffte es mit dieser Idee allerdings nicht ins Parlament.
Die Einheimischen glauben an die einzigartige Kompliziertheit ihrer Sprache und Kultur. Da zudem nur wenige Ausländer
langfristig im Lande wohnen, kennen die meisten Japaner kaum Gaikokujin, die wirklich flüssig sprechen können und die Umgangsformen beherrschen. Beides zusammen verleitet sie zu überschwänglichem Lob für die simpelsten Handlungen von uns Ausländern. Wir fühlen uns davon veräppelt - die Japaner meinen es aufrichtig. Eine Bekannte von mir hat auf Facebook sogar eine Gruppe eröffnet: »Sie sprechen aber gut Japanisch!« Michelle störte ein japanischer Reflex ganz besonders: Schon auf zwei Worte Japanisch reagieren die Muttersprachler unausweichlich mit völlig übertriebenen Komplimenten.
Es reicht ein schlichtes »Danke« oder »Schön, Sie kennen zu lernen«. »Sie können aber gut Japanisch!« , heißt es dann. Die Ausländer, die kein Japanisch können, sind dann nur verblüfft. Wer wirklich sprechen kann, fühlt sich nicht ernst genommen.
Eine Variante lautet: »Sie können aber gut mit Essstäbchen umgehen!« Es reicht, ein Stück Fleisch aufzupicken und es zum Mund zu befördern, ohne mit den Spitzen ins Auge des Nebenmanns zu treffen. »Du beherrschst die Stäbchen aber gut!«, heißt es dann.
Bei einem Seminar zu den Unterschieden zwischen dem deutschen und japanischen Journalismus hielt ich eine Präsentation auf Japanisch und beantwortete danach noch eine Stunde lang Fragen. Dann kamen die Esskästchen. Zurückhaltend wartete ich, bis ältere Teilnehmer bereits aßen, und pickte dann eine panierte Garnele aus dem Kästchen. Da sagte der japanische Kollege gegenüber am Tisch doch tatsächlich: »Ach, soll ich Ihnen eine Gabel besorgen?« - und später: »Ach, Sie sind aber geschickt mit den Essstäbchen!«
Was dachte der Mann, wie ich mich in all den Monaten ernährt hatte? Und wie wird sich das ganze billige Lob auf meine Psyche auswirken? Am Ende glaube ich noch, es sei eine beeindruckende Leistung, eine Garnele mit Stäbchen hochheben zu können.
Akiko zeigte mir ein Buch, das sie sich gekauft hatte: »Höflichkeitssprache auf Englisch«. Ich beglückwünschte sie zu ihrem Kauf. Aus japanischem Munde klang auf Englisch manchmal roh, was sicher nett und freundlich gemeint war. Als ich die Filiale einer Kaffeekette betrat, fing mich ein Kellner am Eingang ab. Ich sagte auf Japanisch: »Ich wollte eigentlich nur einen Grüntee-Latte zum Mitnehmen.«
Darauf begann der Kellner auf Japanisch: »Oh, es tut mir leid, abends wechseln wir auf Restaurantbetrieb und bieten nichts zum Mitnehmen an. Bitte haben Sie Verständnis, wenn …« Dann fiel ihm ein, dass er es mit einem Ausländer zu tun hatte. Er unterbrach sich, sagte: »No take out!« und deutete entschieden Richtung Ausgang. Mir blieb nur ein: »Verstehe.« Und der Rückzug.
Alles wäre anders gelaufen, wenn der gute Mann »Höflichkeitssprache auf Englisch« gelesen hätte. Die Beispielsätze stammen aus dem Leben!
Höflich: I do apologize, but I really can’t work overtime today.
Normal: I’m sorry, but I’m not going to be able to work overtime today.
Direkt: I’m not working overtime today.
Ich stellte mir vor, wie ein japanischer Angestellter zu seinem westlichen Chef in das Glaskastenbüro stürmt, die
Hände in die Hüften stemmt und ruft: »Heute kannst du dir deine
Weitere Kostenlose Bücher