Tokio Total - Mein Leben als Langnase
gehört schon zum alten Eisen, das konnten Prototypen bereits vor zehn Jahren. Die Japaner sind fest davon überzeugt, dass diese Geräte als Massenanwendung die Haushalte bevölkern werden.
In einem Nudelsuppenladen in Nagoya bereiten bereits zwei Roboterarme die Ramen zu. Sie heißen »Chef« und »Küchenjunge« und benutzen die gleichen Kochlöffel und Siebe wie menschliche Köche. Und wie zwei japanische Nudelchefs tauschen die beiden Roboterarme Witze und flotte Sprüche bei der Arbeit aus. Die Stimme klirrt allerdings im Vergleich zu meinem Getränkeautomaten ziemlich digital, da könnte die Herstellerfirma noch etwas verbessern.
Japans Regierung hat beschlossen, sich mit Automatisierung und Robotern aus dem Arbeitskräftemangel zu befreien.
Wo in der deutschen Diskussion die Zuwanderer stehen, reden die Japaner von Technik. Toyota bastelt schon an einem menschenähnlichen Roboter für die Pflege. Die Krankenschwester aus Plastikteilen, Servomotoren und Sensoren konnte vor der Presse bereits Menschen im Bett herumdrehen. Sie trug dabei eine stilisierte Haube und Schürze aus weißem Plastik, konnte sprechen und Sprache verstehen. Vorbehalte haben die Japaner gegen die eiserne Pflegekraft nicht. In einer TV-Diskussion sagte eine ältere Dame: »Wenn uns überall Roboter helfen, hat meine Tochter sicher auch mehr Zeit, mich zu besuchen.« Sie schien sich fast darauf zu freuen, von der Roboterin gewaschen zu werden.
Auch auf dem Weg durch die Stadt überlassen sich die Menschen mehr und mehr ihren Maschinen. Im zweiten Jahr in Japan wurde ich süchtig nach Fußgängernavigation. Wo ich anfangs noch mit ausgedruckten Karten hantiert habe und nach Ankunft noch meine halbe Stunde herumbringen musste, verbrachte ich diese halbe Stunde jetzt vor der Abreise damit, mein »Navitime« im Handy mit der optimalen Route zu programmieren. Der Anbieter hatte neben den Karten auch sämtliche Fahrpläne von Bussen, Flugzeugen und Bahnen in Japan in seine Datenbanken eingespeist und kannte auch die Taxistände. Es zeigte für die verschiede - nen Verkehrsmittel den Preis und den Kohlendioxidausstoß an.
Eigentlich kannte ich den Weg von Miguels neuem Appartement zu Kenji in Kawasaki. Ich hätte einfach am Hauptbahnhof umsteigen können. Trotzdem schaltete ich Navitime ein, sobald ich aus der Tür getreten war.
Auf der Karte führte mich das Handy erst zum nächsten Bahnhof. Dort ließ es mich auf den Expresszug warten. Zwischendurch gab ich Befehl, einen Umweg über einen Weinladen in Ikebukuro zu nehmen. Das Handy führte mich zum nächstgelegenen Ausgang - eine große Hilfe, denn die Station hatte 59 nummerierte Ausgänge. Würde ich am falschen Ende herauskommen, wäre ich verloren. Navitime kannte jedoch sogar den Umsteigeweg innerhalb des verschlungenen U-Bahnhofs.
Am Ziel zeigte mir das Handy den Weg zwischen Kawasakis Häusern in 3-D. Wie in einem Computerspiel leuchtete auf der Anzeige ein Pfeil auf, wo ich hinzugehen habe. Das funktionierte sehr gut, wenn der Akku nicht zwischendurch plötzlich aufgab. Leider gab er öfters auf. Das Handy musste sowohl das GPS als auch die Farbanzeige ununterbrochen angeschaltet lassen. Ich gewöhnte mir an, immer noch zwei geladene Akkus mitzunehmen. Später schaffte ich mir eine tragbare Brennstoffzelle zum Nachladen an, auch so eine typisch japanische Erfindung.
Ich folgte Navitime also auch dann, wenn ich es gar nicht brauchte. Die wichtigen Linien und Umsteigebahnhöfe kannte ich eigentlich alle, weil ich beruflich den ganzen Tag in der Stadt unterwegs war. Trotzdem ließ ich das Programm mitlaufen. Es hätte ja noch eine bessere Verbindung geben können. Auch wenn ich nur zwei U-Bahn-Stationen von zu Hause weg war, prüfte ich den besten Weg: Vielleicht fuhr ja ein Bus von einer nahen Haltestelle zwei Minuten früher ab als die Bahn?
Da ich beim Laufen immer auf die Anzeige meines Handys starrte, hatte ich ab und zu beinahe einen Unfall. Ein
Bus wischte in Ueno so dicht an mir vorbei, dass er meine Aktentasche streifte. Bei anderer Gelegenheit lief ich gegen einen niedrigen Pfahl und schlug mir das Schienbein auf. Ich weigerte mich, zu Verabredungen zu gehen, wenn ich nur eine analoge Karte als Wegbeschreibung erhielt. »Kann ich bitte die Telefonnummer wissen, um den Ort in die Navigation eingeben zu können?« Da in Japan die Adressen ohnehin nichts taugen, geben alle ihr Ziel über die Telefonnummer in ihre Navis ein. In den Geräten stecken umgekehrte Telefonbücher,
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