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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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gegen alles Fremde. Die gute Seite: Sie sind dabei unwahrscheinlich neugierig und freundlich.

    Japan tut sich mit Ausländern ziemlich schwer. Zwischen Hokkaido und Okinawa wohnten 2009 nur 1,5 Millionen Nichtjapaner, das waren bloß 1,2 Prozent der Bevölkerung. Statistisch gesehen kann kaum einer im Land wirklich Erfahrungen im Umgang mit Ausländern sammeln.
    Am liebsten würden die Inselbewohner ganz auf Ausländer verzichten, aber das geht für eine Exportnation in einer globalisierten Welt aus praktischen Gründen nicht. Und wer würde den Geschäftsleuten so preiswert eine sanfte Massage zuteilwerden lassen wie die illegal eingewanderten Mädchen von den Philippinen? Bemerkenswert war allerdings die Konsequenz, mit der sich das Land in der Wirtschaftskrise überschüssiger Arbeitskräfte entledigte. Als die Konjunktur
rund lief, durften Brasilianer japanischer Abstammung zu Zehntausenden ins Land. Im Jahr 2008 erhielten sie plötzlich eine Prämie von einigen tausend Euro, sollten dafür aber nach Brasilien zurückkehren - und durften ihr Leben lang nicht wieder einreisen. Die Brasilianer japanischer Abstammung waren ernsthaft enttäuscht vom Land ihrer Vorfahren. Japan ist wirklich kein Einwanderungsland.
    Wir Mitarbeiter westlicher Firmen in Tokio sind dagegen so eine Art Luxus-Ausländer mit Vorzugsbehandlung. Die Klagen einiger Europäer kommen mir ziemlich kleinlich vor. Sie mäkeln vor allem über ihre Vermieter. In Tokio müssen Ausländer zusätzlich zur Kaution noch japanische Bürgen stellen. Sie könnten schließlich jederzeit abhauen, so die Angst der Wohnungsinhaber.
    Die Regenbogenpresse schlachtet das Misstrauen gegenüber dem Ausland nach Kräften aus. In der Zeitschrift »Spa« fand ich eine Doppelseite darüber, »wie die Ausländer unser gebeuteltes Japan in der Krise schänden«, womit geschickt noch der Dreh zur Wirtschaft geschafft war. Afrikaner fassen da japanischen Mädchen an den Rock, Koreaner stinken nach Knoblauch, und Amerikaner missachten die Verbotsschilder. Alle Klischees sind also bedient.
    Einige Einheimische tun sich auch schwer damit, das Japanisch von uns Ausländern zu akzeptieren. Sie nehmen zuerst an, wir würden Englisch sprechen und stellen ihre Ohren gar nicht darauf ein, dass aus dem Mund des Fremden auch die eigene Muttersprache kommen könnte - schließlich glauben Japaner, sie sei für Außenstehende gar nicht erlernbar. Ein amerikanischer Japanveteran mit japanischer Staatsbürgerschaft beschrieb es so: »Es fühlt sich an, als müsse man jedes
Mal die Kopfhörer entknoten, bevor Kommunikation möglich ist.«
    Ich sagte also im Elektroladen auf Japanisch: »Führen Sie auch Flusenfiltereinheiten für ältere Sanyo-Waschmaschinen?«, und der Verkäufer stotterte, er könne leider kein Englisch, er werde aber sofort einen Kollegen holen, der mit mir sprechen könne. Erst als ich ihm den kaputten Flusenfilter ins Gesicht hielt und sagte: »Ich - will - das - hier!«, nickte er und trabte los, um das Ersatzteil zu holen.
    In letzter Zeit passiert mir dieser Ich-verstehe-dein-Englisch-nicht-Effekt allerdings immer seltener. »Es muss mit der Art zu tun haben, wie du guckst und dastehst«, vermutete Akiko.
    Jeder Ausländer kennt die erschreckten Gesichter, die sich in kleineren Cafés auf den nichtjapanischen Gast richten, wenn er zur Tür hereinkommt. Nicht nur die Wirtin, sondern auch alle Gäste halten inne und schauen den Neuankömmling an. Erst, wenn er auf Japanisch das Schweigen bricht und etwa fragt: »Ist es okay, wenn ich mich setze?«, wenden die Leute sich wieder ihrem Kaffee zu und wird die Bedienung wieder emsig: »Oh, ja klar, setzen Sie sich doch. Kommen Sie mit der japanischen Karte klar?« Wenige Minuten später setzen auch die Gespräche der älteren anwesenden Japaner wieder ein. Das bedeutet für mich, dass sie auch vorher miteinander gesprochen haben, aber beim Auftritt des Fremden vom Donner gerührt in Starre verfallen sind. Der Grund ist klar. Alle denken, der Ausländer sei hier falsch und könne nur Englisch. In Tokio geschieht das nur in ganz individuellen Läden in den Außenbezirken, damals in Fukui passierte mir das täglich.

    Ganz Japan quält sich pausenlos mit Englischkursen, ohne wirklich Freude am Sprechen der Fremdsprache zu entwickeln. Als neulich die Umzugsfirma bei mir war, um den Abtransport meiner Sachen aus Japan zu besprechen, bot mir der Vertreter als wichtigste Dienstleistung an: »… und am Zielort in China werden Sie

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