Tokio Total - Mein Leben als Langnase
blöden Überstunden sonstwohin stecken!«, ruhig nach Hause fährt, für die Familie kocht und mit seinem Töchterchen spielt. Vielleicht wird diese Vision im Jahr 2500 Wirklichkeit.
In drei Jahren in Tokio musste ich zweimal eine Ausweiskontrolle durch die Obrigkeit über mich ergehen lassen. Nichtjapaner sind verpflichtet, ihre Alien-Registrierungskarte zu zeigen, wenn die Polizei sie dazu auffordert. Es gibt weiße Ausländer, denen passiert das in zwanzig Jahren kein einziges Mal, und es gibt Schwarze, die zücken ihre Karte mehrmals pro Woche.
Im Vergnügungsviertel Roppongi fingen mich zwei Polizisten ab, als ich um eine Ecke bog. Es war drei Uhr morgens, aber diese Gegend kommt nach Mitternacht erst richtig in Schwung. Die Straßen waren taghell erleuchtet von den Leuchtreklamen, die über viele Stockwerke hinauf Amüsierläden anpreisen. Der jüngere der beiden Wachmeister fragte mich nach meinem Pass.
Bisher war ich - wenn überhaupt - fast immer nach der Arbeit im Anzug in Roppongi unterwegs gewesen, und nie war ein Polizist auf mich aufmerksam geworden. Doch heute trug ich Turnschuhe und ein Kapuzenshirt. Außerdem war ich erst am Morgen mit dem Flugzeug aus Deutschland zurückgekommen, unrasiert und übermüdet - meine Augen waren etwas rötlich entzündet. Als die Polizisten vor mir auftauchten, brabbelte ich gerade auf Deutsch einige Flüche vor mich hin. Im Geiste habe ich mich mit jemandem gestritten.
»Ich wohne in Japan«, sagte ich zu dem Beamten.
»Dann zeigen Sie uns mal Ihre Alien-Registrierungskarte!«
Jetzt wusste ich wieder, warum ich Roppongi normalerweise mied und lieber mit japanischen Freunden auf den Götterfreudenhügel ging. Ich holte meinen Ausweis hervor und gab ihn dem Polizisten. Der sah sich beide Seiten kurz an und gab ihn an seinen Kollegen weiter.
»So, Sie sind aus Deutschland. Ein schönes Land.«
»Ich würde jetzt gerne weitergehen, ich bin verabredet.«
»Wohin denn so eilig?«
»Was geht Sie das denn an?«
Ich zeigte mich absichtlich etwas abweisend. Als Journalist hoffte ich darauf, der Polizist würde mich festnehmen. Das wäre eine klasse Geschichte. Ich erinnerte mich beispielsweise an die Story von dem Nachtclubangestellten aus Afrika, den die Polizei nach so einem Ausweischeck für Wochen festgehalten hatte, ohne ihm etwas nachweisen zu können.
»Bitte kommen Sie zu einer Urinprobe mit!«, sagte der Polizist. »Urinprobe!!«
»Haben Sie etwas zu verbergen?«
Diese Polizisten dürfen einen mitnehmen, wenn sie einen Verdacht haben, und ein Verdacht ergibt sich, wenn sie Widersprüche in den Aussagen des Verdächtigen feststellen.
»Bei mir ist alles okay, ich möchte jetzt wirklich gehen.«
»Ach, warum so eilig?« Der Satz schien zu ihrer Masche zu gehören.
»Glauben Sie, dass ich ein Verbrechen begangen habe?«, fragte ich.
Die Polizisten sahen sich an. Dann sahen sie mich noch einmal von oben bis unten an.
»Nein. Aber wir könnten einen Kompromiss anbieten. Sie zeigen uns den Inhalt ihrer Tasche und dürfen gehen.«
»Wenn ich kein Verbrechen begangen habe, warum sollte ich Ihnen meine Tasche zeigen?«
»Um das zu beweisen.« - Aha. Logisch.
Ich hielt ihnen meine Tasche offen hin. Der Jüngere suchte ein wenig darin herum und zog einen dieser Namensanstecker hervor, wie es sie bei jeder Veranstaltung gibt. Er betrachtete ihn lange nachdenklich. Das Ding hatte oben einen breiten roten Streifen, auf dem stand: »Medienvertreter«.
»Ach, Sie arbeiten für eine Zeitung?«, fragte der junge Beamte.
»Ja. Wollen Sie meinen Presseausweis sehen?«
Die beiden sahen sich in die Augen.
»Schon gut. Einen schönen Abend noch«, schaltete sich erstmals der ältere Polizist ein.
Japaner reden gern und offen über die physischen Unterschiede zwischen ihnen und den Ausländern. Wildfremde Leute machen mir auf U-Bahn-Treppen Komplimente: »Sie haben aber lange Beine!«
Die Messtechnikfirma Omron zeigte mir einmal die erste Version eines Computerprogramms, das menschlichen Gesichtern allerlei anzusehen vermochte: Die Maschinen um uns herum sollen künftig wissen, ob wir lächeln oder eher grimmig gucken, und in welche Richtung wir gerade blicken. Und sollen auch erkennen können, wie alt wir ungefähr sind. Als ich das erste Mal ins Blickfeld der Kamera mit
der Alterserkennung trat, schätzte mich die Software auf 69 Jahre.
Das erzählte ich Akiko und Kenji. Meine Gesichtsform sei eben völlig anders als die der Japaner, erklärten sie mir. Die
Weitere Kostenlose Bücher