Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
Vom Netzwerk:
Augen von Europäern lägen von Natur aus tiefer in den Höhlen, behauptete Kenji. Da die Augen auch bei Senioren einsinken, würde die Software mich für älter halten.
    Akiko, die eben noch halb abwesend in ihr Handy versunken war, wurde plötzlich hellwach und dozierte über Kopfform und international verschiedene Arten der Faltenbildung. »Die Haut von euch Europäern altert ganz anders, der Rechner sieht das sofort.« Das klang verdächtig nach Blödsinn, doch Japaner legen viel Wert darauf, sich auch physisch irgendwie vom Ausland zu unterscheiden. Sogar und vor allem von Koreanern und Chinesen.
    Deutschland hat für die Japaner etwas ungeheuer Exotisches. »Das Beste an Deutschland sind doch die Lederhosengruppen«, hatte schon der Gastvater bei meiner ersten Japanreise gesagt. Das Bild von fremden Ländern ändert sich eben nur langsam. Bis vor gar nicht so langer Zeit galt Deutschland den Japanern noch als Hort preußischer Zucht und Arbeitswut. Das Image hat sich zwar gewandelt, hinkt aber trotzdem noch ein wenig hinterher. In Japan ist gerade das Bild angekommen von einem satten, lahmen Land, in dem die Geschäfte um halb sieben schließen, niemand Waren nach Hause liefert und die Bahnangestellten sich vor dem Zugreisenden als Beamte aufspielen. Wo der Staat auch den Faulen ein gutes Leben zahlt. Auf der Autobahn rasen Porsches, und alle trinken schon mittags Bier aus Krügen mit Deckel.

    Viele Japaner stellen sich Deutschland jetzt also als Land vor, das einerseits die Bräuche des Mittelalters fortführt, in dem aber andererseits eine Art Sozialismus regiert. In Fernsehberichten tauchen außer Rothenburg und Neuschwanstein immer noch vor allem die Sozialhilfe und die Handwerkerrolle auf.
    Einige Japaner halten uns »Doitsujin« wegen der ständigen Betonung des alten, schmiedeeisernen Deutschlands für altmodischer und steifer als Amerikaner oder Australier. Akiko war daher geplättet, als eine deutsche Bekannte ihr einfach ihr WG-Zimmer in Berlin für eine Woche überließ. Ein WG-Leben wie in Berlin kennt Japan nicht. Generell gehen Japaner mit ihren Wohnungen nicht so locker um. Ihre ehemalige Sprachpartnerin hatte Akiko angeboten: »Du kannst gerne kommen, ich selbst bin auf Dienstreise, aber Maren, meine Mitbewohnerin, lässt dich rein.« Tatsächlich übernachtete Akiko also in einem Zimmer, in dem sie nie zuvor gewesen war, und frühstückte morgens in der Küche mit zwei Leuten, die sie nie zuvor getroffen hatte. »Dabei arbeitet Yvonne doch in der Werbung und könnte sich auch eine richtige Wohnung leisten«, sagte Akiko. »Und dass sie mich einfach so reingelassen hat, ich hätte ja ihre Briefe lesen können.«
    »Die Briefe sind vermutlich auf Deutsch, da besteht also keine Gefahr«, sagte ich. Akikos Bemühungen um die deutsche Sprache waren vor kurzem mal wieder auf Anfängerniveau stecken geblieben.

    Manchmal fragte ich bei meinen japanischen Bekannten herum, welche berühmten Europäer sie kennen. Jetzt nicht Beethoven, sondern eher lebende Schauspieler oder Sänger.

    »Hugh Grant«, sagte Kenji. »Robbie Williams«, sagte Akiko. »Harry Potter«, sagte Sachiko.
    »Und was ist mit Leuten, die keine Engländer sind?«, fragte ich. Auf Deutschland wollte ich nicht gleich abzielen und schlug vor: »Spanier? Franzosen?«
    »Herr Ikea?«, riet Akiko. »Kannst du das Verhör bitte beenden? Wen sollten wir denn kennen?«
    »Ihr habt doch schon mal ›99 Luftballons‹ gehört? Das steckt in jeder Karaokemaschine«, sagte ich.
    »Ist das auf Deutsch?«
    »Das stammt von Nena.«
    »Aber die ist doch aus Amerika, oder?«
    »Nein, aus Deutschland. Kennt ihr Angela Merkel?«
    »Die war beim G8-Gipfel in Hokkaido.«
    Das Zwischenergebnis meiner Forschung: Die meisten meiner japanischen Bekannten kannten ohne Tipps überhaupt keine lebenden Deutschen. Akiko oder Leute, die sonst wie mit Deutschland zu tun haben, erreichen nur eine geringfügig höhere Trefferquote.
    Dem arbeitslosen Tsuyoshi fiel überhaupt kein Deutscher ein. Er las Nachrichten ausschließlich in dem Gratismagazin »R25«, das an der U-Bahn auslag. Er gab aber zu, von Merkel und von Hitler gehört zu haben. Kenji wusste zudem um Josef Ackermann, aber er las auch jeden Morgen die »Japanische Wirtschaftszeitung«. Immerhin konnte er etwas mit Boris Becker anfangen. Und, Moment, da war doch was …
    »Barakku!«, rief Kenji plötzlich laut.
    »Kenji-kun, jetzt aber mal wirklich, Obama ist Amerikaner, kein Europäer«, wies ich ihn

Weitere Kostenlose Bücher