Tokio Total - Mein Leben als Langnase
milde zurecht.
»Ich meine nicht den Baraku, der Amerika regiert, sondern den Barakku, der Fußball spielen kann.«
Ah. Ballack, nicht Barack. Ja, die Japaner, das »r« und das »l«. Eine ewige Dreiecksbeziehung voller Missverständnisse. Eine englische Pressemitteilung der Regierungspartei war neulich überschrieben: »On the Upcoming Erection.«
»Michael Ballack?«
»Ja, Mihhiyaeru Barakku. Doch nicht Baraku Obama, der ist doch gar kein Deutscher.«
In der Tat. Und mit Ballack hörte ich meinen ersten Volltreffer für einen berühmten, lebenden Deutschen.
Jetzt war das Fass offen.
Sachiko: »Kahn.«
»Ja«, sagte Akiko, »der ist groß gewachsen und blond.«
»Littbarski«, sagte Kenji.
Klar, den kannte hier jeder Erwachsene, weil er vor fünfzehn Jahren für JEF United Ichihara Chiba gespielt hatte. Von Pierre Littbarski stammen übrigens ein paar meiner Lieblingszitate über Japan:
»Man kommt hierher, und alle Leute versuchen, es einem so angenehm wie nur irgend möglich zu machen, und man fühlt sich von Anfang an wohl.«
Stimmt. Genau wie auch:
»Mit kleinen Worten, mit kleinen Gesten wird einem hier gezeigt, ob man einen mag oder nicht. Umgekehrt hat meine japanische Frau in der Zeit, als wir in Deutschland lebten, gemerkt, dass man auch schon mal die Ellbogen benutzen muss und nicht mit Freundlichkeit alleine durchkommt. Man muss versuchen, das, was man möchte, auch durchzusetzen.«
Der Mann kennt sich aus.
Kenji: »Beckenbauer.«
Akiko: »Klinsmann.«
Kenji: »Schweinsteiger.«
»Ich habe verstanden!«, rief ich. Deutschland, das war eben außer Autobahn und Bier doch nur Fußball.
Japaner können nicht anders und sehen Deutschland und die Deutschen als etwas rückständig an. Die glanzlose, unmodische Kleidung spricht nicht für besonderen Wohlstand. Und die Elektrogeräte liegen meistens eine ganze Generation zurück. Deutschland hielt UMTS noch für eine Errungenschaft, als in Japan das mobile Internet der vierten Generation in Betrieb ging - schnell wie ein Drahtlosnetzwerk -, um die Daten für die neuen 3-D-Anwendungen auf die Handys zu schaufeln. Etwa die Fußgängernavigation mit Navitime.
Umgekehrt frage ich mich manchmal, wo eigentlich das deutsche Japanbild hängen geblieben ist. Selbst Japankenner liegen in ihrer Wahrnehmung oft noch einen Schritt zurück - sie erwarten lebenslange Festanstellung im väterlichen Großkonzern mit morgendlicher Gymnastik. Gut informierte Journalisten sprechen mich manchmal noch auf Japan als Billigproduzent und Imitator westlicher Waren an. Die Leute übersehen, dass Japan seit vielen Jahrzehnten viel mehr Patente anmeldet und technisch viel fitter ist als Deutschland. Displays für Fernseher kommen fast ausschließlich aus Asien, auch wenn noch ein deutscher Markenname auf dem Gerät steht.
Deutsche Produkte fallen den Japanern dagegen meistens gar nicht als deutsch auf. »Guck mal, aus Deutschland«,
sagte ich zu Kenji und zeigte auf einen Hugo-Boss-Laden. »Aber ›Boss‹ ist doch ein englisches Wort«, wunderte er sich.
Zwilling und Rimowa dominieren in den Kaufhäusern die Ecken für Messer und Koffer. Als ich bei Tôbu in Ikebukuro ein japanisches Geschenk für meine Mutter kaufen wollte, fand ich immer nur deutsche Produkte. Offenbar kaufen die Deutschen japanische Messer und die Japaner deutsche. Zu einem Vortrag über Deutschland hatte ein Herr seine Messer von Zwilling mitgebracht, die er 1960 gekauft hatte. »Di Shunaidigen fuon Tsuwuiringu!«, zitierte er gut gelaunt. Schuhe von Möbus finden sich in den angesagtesten Läden der Stadt, Wasserfilter von Brita in jedem Haushaltswarenladen.
Deutschland exportiert für Endkunden anscheinend statt raffinierter Elektronik eher einfache Industrieprodukte ohne hohen technischen Wert wie Schuhe, Wasserfilter aus Plastik oder Messer.
Deutschland bringen die Japaner eher mit Umweltprodukten in Verbindung. Dass Firmen wie Q-Cells aus Sachsen-Anhalt die eigenen Hersteller auf dem Solarmarkt abgehängt haben, sprach sich zu meiner Zeit gerade herum. Velotaxis priesen sich als Touristenattraktionen aus Deutschland an.
Intellektuelle und Philosophen bewundern Bach, Hegel, Mozart und Max Weber. Das färbt auch auf die gewöhnlichen Deutschlandreisenden ab, denen ihr Reiseführer eine weihevolle Stimmung gegenüber den Statuen Luthers und Beethovens einjagt. Sie knipsen dann vor lauter Respekt ein Foto mit sich und dem berühmten Mann, spreizen die Finger aber hinter seinem Kopf zum
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