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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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gewesen. Ein Büroangestellter hatte es sich volltrunken geliehen, um nach Hause zu fahren. Am nächsten Morgen schimpfte ihn seine Frau aus und schickte ihn zur Polizei, um das Rad zurückzubringen. So sieht Fahrraddiebstahl in Japan aus.

    Schon als ich zum ersten Mal am Flughafen Narita ankam, fiel mir die sanfte Art der Japaner auf. Die direkten Nachbarn in China und Korea streiten und schimpfen gerne. Sie wirken selbst auf Deutsche zuweilen pampig und direkt.
    Ich denke manchmal, die defensive Art der Japaner könnte etwas mit der Geschichte des Landes zu tun haben. Wolkigpoetischen
Erklärungen aus dem Dunst der Historie heraus misstraue ich zwar (und Japaner lieben sie über alles), doch es ist offensichtlich nicht ohne Spuren für die Japaner geblieben, dass sie bis 1868 von einem waffenstarrenden, arroganten und wahnsinnig gefährlichen Kriegeradel beherrscht wurden - wir nennen sie heute im Westen die Samurai. Diesen Herren gegenüber erschien es weise, sich ein wenig demütig zu verhalten. Als die Samurai im 19. Jahrhundert ihre Macht verloren, manövrierte sich eine neue zivile Elite in die freien Machtpositionen. Geblieben ist aber ein Erbe des vorsichtigen, tastenden Umgangs miteinander und mit den Autoritäten. Der Kriegeradel durfte vorher straflos köpfen, wer ihn schief ansah. Unter solchen Umständen trat wohl keiner so richtig forsch auf. Und dabei ist es dann auch geblieben.
    Wenn ich Kenji deutsch-großspurig-wichtig etwas erzählte, was er längst besser wusste, dann machte er erst mal die berühmten Laute des Erstaunens: »Ah, ja, ja, ah …« Manchmal klingt er dabei wie Johannes B. Kerner, wenn ihn das Schicksal eines Gesprächspartners besonders betroffen macht.
    Ich sagte zum Beispiel: »Dass die Tokioter immer ihren rechtsradikalen Gouverneur Ishihara wiederwählen, zeigt doch, dass sie grundsätzlich erzkonservativ eingestellt sind. Deutsche Großstädte tendieren dagegen eher nach links.«
    »Mhhh. Ahhhh. Jaaa.« - Pause.
    Dann nickte er. Mehrmals. Neue Pause. So war es schon beim ersten Mal gewesen, damals, als ich von den Trauben noch die Schale mitgegessen hatte.
    »Jaja, so ist es sicher.« - Jetzt heuchelte er einen neuen Gedanken, eine plötzliche Idee, die hervorzubringen bis eben
gedauert hatte: »Aber sag mal …«, begann er und teilte mir dann meistens mit, dass ich total danebenlag. »Die Leute wählen Ishihara aus purem Mangel an Alternativen, und sie mögen seine klare und lebhafte Art. Das heißt noch lange nicht, dass sie seinen Ansichten über Chinesen, Verteidigungspolitik oder die Rolle der Frau zustimmen.« Er erklärte mir, dass Ishihara mit 24 Jahren den höchsten Literaturpreis des Landes gewonnen habe und auch als Theaterregisseur bekannt geworden sei - er sei also aus Sicht der Leute einfach keine so tumbe Nuss wie die anderen Politiker. »Die Tokioter mögen ihn nicht wegen, sondern trotz der gelegentlichen Entgleisungen«, sagte Kenji.
    Die japanische Kommunikation tastet sich also vorsichtig von hinten an den Widerspruch gegen das bereits Gesagte heran. Die Gegenrede kommt erst nach einem großen Bogen von scheinbarer Zustimmung. Wenn sie überhaupt ans Tageslicht darf und der Japaner sich nicht einfach nur seinen Teil denkt.
    Generell sieht dadurch der Diskussionsstil anders aus. Ich war ein halbes Jahr lang Mitglied einer Kommission des Erziehungsministeriums zur Bewertung einer Berufsbildungseinrichtung, dem »Haus der Berufe«. Die Teilnehmer diskutierten erstaunlich wenig bissig. Nie sagte ein Mitglied zu seinem Vorredner: »Ich glaube, da liegen Sie völlig falsch …«, oder dergleichen - die Redebeiträge begannen über die Parteigrenzen und verschiedenen Ansichten hinweg mit freundlichem Gegurre. Zum Schluss fand sich auf wunderbare Weise ein Konsens, mit dem alle glücklich waren.
    Eine meiner Lieblingsfiguren in der japanischen Geschichte
ist ein cleverer Reishändler und Bankier, der im 18. Jahrhundert in Osaka wohnte. Er gehörte zur unteren Schicht der Gesellschaft, wurde aber durch geschickten Umgang mit den Samurai-Fürsten steinreich. Als gebildeter Händler fand er Wege zu kriegen, was er wollte - und zwar eben nicht, indem er sich hinstellte und es direkt forderte. Auch nicht, indem er offen und klar die Wahrheit sagte, dem Allheilmittel für alle nur erdenklichen sozialen Situationen in amerikanischen Filmen. Sondern durch kleine Vorschläge, die sich zu einem vorteilhaften Ganzen fügten. Damals ließ der Shogun sich Reis als Steuer aus

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