Tokio Total - Mein Leben als Langnase
gruseliger Musik.
Der Präsident der Waseda-Univsersität erklärte: »Die betreffenden Studenten haben sich über das Internet zehn Samen der Hanfpflanze beschafft und sie zu Hause angebaut. Dann haben sie die daraus entstandenen Pflanzen als Rauschmittel missbraucht. Wir entschuldigen uns mit voller Aufrichtigkeit für den Schaden, den wir in der Öffentlichkeit verursachen!« Dann verbeugte sich der Mann fast bis zum Boden. Links und rechts standen die Dekane und verbeugten sich mit.
Kurz zuvor war ein Student der bekannten Privatuni Keio drei Tage lang Top-Thema der Hauptnachrichten und der ersten Seiten der Zeitungen gewesen. Die Polizei hatte ihn festgenommen, weil er einen Joint geraucht und fast zwei Gramm Haschisch an einen Kommilitonen verkauft hatte. Die Sendungen überschlugen sich in Empörung über den Grad an Verkommenheit, den die einst so renommierte Institution der Bildung erreicht hatte. Die Karriere des jungen Mannes war ruiniert, bevor sie angefangen hatte. Ich konnte die Leute seitdem mit der Gruselgeschichte faszinieren, dass dieselbe Menge Hasch in Deutschland praktisch als legal durchgegangen wäre.
Bei allen Haschisch-Skandalen gab es eine Gemeinsamkeit. Die Beschuldigten sagten im Fernsehen den Satz: »Ich habe das Zeug von einem Ausländer gekauft.« Das war absolutes Pflichtinventar der Berichterstattung, egal ob russische Sumo-Ringer oder Studenten der Keio-Universität. Mir war
es recht. Es machte uns Ausländer für die Japaner interessanter, gefährlicher und verwegener. Wenn ich erzählte, dass ich als Teenager an Joints gezogen hatte, erntete ich sehr, sehr langgezogene Laute des Erstaunens.
Ein Psychologe erklärte im Fernsehen, welche schwerwiegenden Folgen das Kiffen haben kann: »Die jungen Leute haben fast kein Problembewusstsein. Es folgt unausweichlich eine Spirale von Sucht und Verwahrlosung. Wenn das so weitergeht, ziehen bei uns noch westliche Verhältnisse ein!«
Europäische Verhältnisse, ja, die müssen Japans Politiker um jeden Preis verhindern. (Das erinnert mich an die Infobroschüre zur Check-up-Untersuchung in meinem örtlichen Krankenhaus: »Wegen der Europäisierung-Amerikanisierung unserer Essgewohnheiten steigt derzeit auch in unserem Lande die Zahl der Herz- und Gefäßerkrankungen steil an.«) Und jetzt auch noch Hasch. Der Experte im Fernsehen hatte vermutlich keine Ahnung, wie unfassbar astronomisch weit Tokios Drogenproblem noch von dem Amsterdams oder Berlins entfernt ist. Oder er wusste es eben doch, aber Japan wehrt den Anfängen.
Zugleich zeigt sich hier wieder die Klassengesellschaft, in die Japan inoffiziell geteilt ist. Mein Gewährsmann aus dem realen Japan (anders als sonst sage ich jetzt nicht, wer) versicherte mir: »Als wir in der Oberschule waren, hatte ein Mitschüler immer was zum Rauchen. Und in meiner Zeit als Skater in Shibuya waren Drogen immer leicht zu kriegen.«
Mein Gewährsmann hatte so etwa mit 18 Jahren eine Phase, in der er mit seinem Skateboard in Shibuya herumhing, Mädchen nachstellte und die Nächte in Technoclubs
verbrachte. Diese Japaner sind nicht nur mit dem Kiffen vertraut, sondern auch mit allen anderen weichen Drogen.
Doch das wahnsinnige Prestige der guten Unis machte die rauchenden Studenten zum Medienthema. Wenn ein Unterklassekind mal kiffte, ging das noch. Aber ein Waseda-Student hat ein Elite-Ticket in der Tasche. Diese Uni ist für normale Eltern fast nicht bezahlbar. Da erwartete die Gesellschaft angepasstes Verhalten. Wer mit dem Dünkel des Waseda-Absolventen rumlaufen wollte, musste anderswo verzichten.
Das hatten auch zwei russische Sumo-Kämpfer nicht kapiert. Sie schieden aus ihrem Stall aus, nachdem die Polizei ihnen Cannabiskonsum nachweisen konnte. Vor den Kameras der Journalisten traten die beiden so reuig auf, als hätten sie jahrelang minderjährige Mädchen zum Crack-Rauchen gezwungen. Dabei gaben sie nur an, auf Heimaturlaub in Russland mit Freunden Gras aus einer kleinen Pfeife geraucht zu haben.
Als Mitteleuropäer bin ich immer etwas hin und her gerissen. Einerseits erscheinen mir die strengen Strafen spießig und übertrieben. Eine liberale Cannabispolitik gehört für uns irgendwie zur freiheitlichen Grundhaltung. Doch die Sicherheit in Japan wissen alle zu schätzen, die es hierherverschlägt. Auch Frauen können sich nachts allein um einiges ungefährdeter durch dunkle Unterführungen trauen als beispielsweise in europäischen Ländern. Die Gier nach dem nächsten Schuss löst
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