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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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und ich noch einen Schirm holen musste. Bei meinem vierten Gang über seinen Fußboden, als ich also erneut zum Fahrstuhl ging, sagte er: »Heute stehe ich Ihnen aber wirklich oft im Weg. Das tut mir aufrichtig leid!«

    Japaner können auch ungeheuer geduldig dastehen und einfach nur etwas für einen halten. Ziemlich oft ließ ich junge Frauen mit meiner Visitenkarte in der Hand darauf warten, dass ich etwas aus meiner Tasche gekramt hatte. Einen Rekord mit einer regungslosen Haltezeit von gut zehn Minuten schaffte eine Empfangsdame im noblen Geschäftsgebäude »Ao« in Aoyama. Das Building hatte offiziell noch nicht eröffnet,
ich war auf dem Weg zur Einweihung eines deutschen Schuhgeschäfts. Die Pressemitteilung hatte ich am gleichen Tag per E-Mail bekommen und nur auf dem Handy gesehen. »Zeigen Sie bitte Ihre Einladung«, sagte die Frau im blauen Kostüm am provisorischen Empfang hinter einem Seiteneingang. »Ich bin Mayer von der Deutschen Wirtschaftszeitung, ich möchte zur Eröffnung der Filiale des deutschen Schuhgeschäfts Bär«, sagte ich und reichte ihr meine Karte.
    Sie nahm die Karte und hielt sie ehrfürchtig zwischen beiden Händen. »Es gibt keine ausreichende Entschuldigung, aber ohne Einladung muss ich Sie leider zurückweisen«, sagte sie.
    »Die Einladung steckt in meinem Handy«, sagte ich. »Reicht es Ihnen, wenn ich sie auf dem Display zeige?«
    »Das dürfte reichen.«
    Nun hatte mein Handy die Mail nicht komplett heruntergeladen - ich brauchte eine Verbindung zum mobilen Internet, um die Einladung vorzuzeigen. Und gerade heute rührte sich nichts. Ich sah längere Zeit einer Sanduhr zu. »Einen Moment noch«, vertröstete ich sie, rief die Netzeinstellungen auf und änderte hier und da etwas am Internetzugang. Versuchte es wieder, aber beim Login blieb ich erneut stecken.
    Die ganze Zeit stand die Empfangsfrau im blauen Kostüm mit meiner Visitenkarte zwischen beiden Händern da und guckte neutral.
    Die Internetverbindung brach ganz ab, ich fuhr das Handy herunter und startete es neu. Bei Windows Mobile dauert das sehr, sehr lange. Heute ging es besonders zäh voran. Sie hielt meine Karte. Ihre Kolleginnen kümmerten sich derweil
um andere Besucher. Alle anderen hatten ausgedruckte Einladungen dabei.
    Die Mails gingen auf, ich fand die Einladung und öffnete das PDF. 350 Kilobyte. Das Herunterladen startete. 30 Kilobyte, 55 Kilobyte. Bei 280 setzte es wieder aus. »Einen kleinen Moment bitte noch«, sagte ich und startete den Download neu.
    Als das Dokument da war, warf sie kaum einen Blick auf den Handybildschirm. »Willkommen«, sagte sie nur und legte die Karte auf das Ledertablett zu den anderen. Ein zweites Mädchen mit Headset erschien und führte mich zum Schuhgeschäft. »Wissen Sie, wir müssen es mit der Sicherheit sehr genau nehmen.«

    Auch in Kaufhäusern beweisen Verkäuferinnen gerne ihre Geduld. Bei Isetan in Shinjuku kaufte ich als Geschenk eine Flasche edlen Sake mit Goldstaub darin. Der schmale Gang mit den teureren Sorten war so vollgestopft mit Menschen wie die U-Bahn zur Stoßzeit. Da Hunderte verschiedener Flaschen Sake auf den Regalen aus kostbarem Holz aufgereiht waren, wandte ich mich für eine Empfehlung an eine der Verkäuferinnen in gestärkter Bluse, dunkelblauer Schürze und Haube. Sie fragte, ob der Sake eher trocken sein soll (Ja!) und ob ich eine bestimmt Region bevorzuge (Nein!) und griff dann die Flasche mit dem Goldflitter heraus. Anstatt sie mir einfach zu geben, sagte sie »hier entlang« und bahnte uns mit vielen Entschuldigungen einen Weg durch die Menge Richtung Kasse. In der Schlange stand sie eine Ewigkeit mit mir zusammen an. Niemand kauft bei Isetan etwas für sich selbst. Den Aufpreis für das teure Kaufhaus
zahlen die Japaner nur, um den Empfänger mit dem Verpackungspapier zu beeindrucken. Das Wichtigste war also der Aufkleber mit dem Logo. Das bedeutete, dass sich so gut wie alle Kunden ihren Einkauf verpacken ließen, was wiederum Zeit brauchte, obwohl hinter der Kasse sieben Leute geschäftig werkelten: Papier schneiden, Schutzhüllen um die Flaschen einpassen und Kartons auffalten. Die Verkäuferin wartete zusammen mit mir bestimmt eine gute Viertelstunde und hielt solange grazil die Sakeflasche hoch. Als wir drankamen, übergab sie meinen Fall an die Kollegin an der Kasse, verbeugte sich vor mir und sagte: »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie so lange habe warten lassen.«

    Mit der Servicekultur geht es dennoch langsam bergab.

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