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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Geschäftsleute bei Verhandlungen. Denn aus japanischer Sicht hängt auch das miteinander zusammen, was in Deutschland nichts miteinander zu tun hat.

    Miguel erzählte mir, was den japanischen Kunden seiner Firma wichtig war. Beispielsweise, dass Schrauben, die an einer völlig versteckten Stelle saßen, immer die gleiche Farbe haben. Aus Prinzip. Nur so, glauben sie, lässt sich gute Qualität aufrechterhalten. Der Erfolg gibt ihnen Recht.
    Auch normale Verbraucher legen in Japan Wert auf Details, die mit der Funktion nichts zu tun haben. Panasonic verpackt Batterien immer so, dass die Seite mit dem Firmenlogo in der Packung nach vorne zeigt. Im Supermarkt wirken die Packungen dann besonders adrett.
    Während Japaner all das irgendwie einbeziehen, wundern sie sich über die deutsche Eingleisigkeit und Fixierung auf die reine Funktion. Deutsche sehen immer nur einen Aspekt auf einmal und können nur eine Aufgabe gleichzeitig erledigen, behaupten sie. Japanischen Chefs von Tochtergesellschaften in Deutschland fällt auf, dass ihre einheimischen Mitarbeiter sich immer nur auf eine Sache konzentrieren wollen. »Wenn sie mit der ersten Aufgabe noch nicht fertig sind, dann nehmen sie keine neue an. Japanische Angestellte lehnen dagegen nie etwas ab und machen alles gleichzeitig. Leider werden sie dann manchmal ewig mit keiner ihrer Aufgaben fertig«, erzählte mir ein japanischer Deutschland-Veteran.
    Die Deutschen wundert eben gerade diese Fähigkeit der Japaner, mehrere Sachen gleichzeitig zu erledigen. Das Befremden fängt schon bei der Powerpoint-Präsentation der Produkte an. Denn weil aus japanischer Sicht alles miteinander verknüpft ist, versucht der Vortragende, alle Details auf eine einzige Folie zu quetschen. Da bleibt dann nur Schriftgröße acht. Was sie dann an die Wand werfen, sieht aus
wie eine Seite aus einem aktionsgeladenen Manga. Überall Pfeile, Bildchen und Sprechblasen. Deutsche fühlen sich davon überfordert.
    Bei den Verkaufsverhandlungen setzen sich die Missverständnisse fort. Der Vertreter der deutschen Seite, von Haus aus Ingenieur, denkt vielleicht, es gehe in einem Gespräch um den Übergangswiderstand der Erdungsmittelklemmen. Weit gefehlt. In Wirklichkeit bezieht sein Gesprächspartner, der japanische Manager, im Geiste alle möglichen anderen Sachen ein: dass der Chef des Deutschen vor vier Jahren mal zu spät zu einem Meeting gekommen war und kein Gastgeschenk mitgebracht hatte, die geschmacklose Krawatte des Assistenten, der diesmal mitgekommen ist, andererseits aber auch die Tatsache, dass der Chef des deutschen Unternehmens eine hübsche Tochter hat. Er sagt dann vielleicht: »Wirklich, Ihre Technik entspricht genau unseren Anforderungen« - und der deutsche Ingenieur freut sich, weil er die Bestellung sicher wähnt, doch der Japaner meint im Geiste: »… aber bestellen werde ich bei euch bestimmt nichts. Das lassen wir euch allerdings erst nach und nach wissen, indem wir die konkrete Erteilung des Auftrags bis zum Gehtnichtmehr hinauszögern.« Eines würde er jedoch niemals sagen: »Nein.«

    Die Fähigkeit, alles auf einmal zu sehen, ermöglicht auch den guten Service. Japanische Verkäufer sehen nicht nur ihren eigenen Standpunkt, sondern sie versetzen sich laufend in den Kunden hinein. In Deutschland fangen viele Sätze des Servicepersonals mit »Ich …« an, und dann kommt so was wie: »… bin dafür nicht zuständig« oder »… habe gleich Feierabend«.

    Das Gleiche kriegt der Kunde in Japan auch gesagt, aber es klingt anders. »Der werte Kunde suchen jemanden, der Ihm mit Videokameras weiterhilft? Ich gehöre hier zu den Mobiltelefonen, aber bitte warten Sie einen Moment!«
    Die Angestellten der Firma, die in meinem Mietshaus in Tokio die Treppen und Gänge sauber macht, entschuldigen sich schon während ihrer normalen Arbeit pausenlos. Manchmal stellte ich sie schwer auf die Probe, aber sie blieben sanft und heiter. Als ich einmal aus dem Aufzug trat und ein junger Mann gerade die Fläche bis zu den Wohnungstüren wischte, verbeugte der sich erst mal. »Es gibt keine Entschuldigung für den nassen Fußboden, aber gehen Sie ruhig drüber!« Durch den Türspion sah ich von drinnen, dass er meine Fußstapfen nachwischte. Wenig später ging ich wieder raus, weil ich eigentlich nur meine Unterlagen fürs nächste Gespräch geholt hatte. Wieder verbeugte er sich mehrfach, als ich über den feuchten Fußboden stapfte. Unten stellte ich fest, dass es angefangen hatte zu regnen

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