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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Schon seit Jahren müssen die Autofahrer an einigen Tankstellen selber tanken. Auch preiswerte Restaurantketten versuchen es mit Technik statt Personal. Beim Fließband-Sushi kommt der heiße Tee aus Wasserhähnen an jedem Platz. Zur Abrechnung hält die Bedienung nur eine Antenne an den mehrfarbigen Tellerstapel. Jeder Teller enthält einen Funkchip mit Preiskennung. Ohne jedes Eingeben und Rumrechnen spuckt das Handterminal den Preis aus.
    Berührungsempfindliche Flachbildschirme wie in der Izakaya-Kette Tôhô Kenbunroku wirken da schon altmodisch. In einer Filiale von »Meeresfrüchte Sakura« ist die Speisekarte von elektrischen Schaltkreisen durchzogen. An der Karte hängt so etwas wie ein fetter Stift mit Lautsprecher. Die Gäste müssen zum Bestellen mit der elektronischen Spitze des Stifts über die gewünschte Speise fahren. Sendechips im Papier der Speisekarte sagen dem Stift, worauf der
Kunde gezeigt hat. Der kleine Computer sendet die Daten dann drahtlos in die Küche. »Salat mit Tofu!«, plärrt der Stift zur Bestätigung, oder »Frittiertes Huhn! Bitte geben Sie die Anzahl ein!« Im unteren Teil jeder Seite befindet sich ein Feld für die Bestätigung der Bestellung. »Bestätigen Sie Ihre Eingabe!«, krakeelt der Stift - »Geben Sie weiteres Bestellgut ein oder wählen Sie Bestellung!« Die koreanischen und chinesischen Kellnerinnen dieser Kette waren im Gegensatz zu diesen Karten nicht so bürokratisch, und vor allem nervten sie weniger.
    Damit die Kunden ihren Bestellstift im bierseligen Lärm der Izakaya hören können, ist der kleine Lautsprecher voll aufgedreht. Die Frauenstimme klingt daher unangenehm hoch und scheppert etwas. Zugleich ist sie so durchdringend, dass auch die Bestellungen der umliegenden Tische zu hören sind. »Hühnerspießchen! Geben Sie jetzt die Anzahl …« - »… weiteres Bestellgut ein oder wählen Sie …« - »Bier, fünf!« - »Bestellung abgeschlossen, bitten warten Sie!« - »Gesottener Trockenfisch ist heute ausverkauft, bitte wählen Sie ein anderes Bestellgut!«
    Bei dem ganzen elektrischen Geplärre gucken selbst die technikverliebtesten Japaner genervt.

    Doch selbst wo statt Menschen schon Automaten stehen, hilft einem meist noch uniformiertes Personal bei der Bedienung. Es ist leider wahr, die Japaner werden durch den ständigen guten Service unselbständig. Als ich in Fukui das erste Mal mit einem Auto an einer japanischen Tankstelle anhielt, wollte ich erst aussteigen, doch dann fielen mir die japanischen Sitten ein. Wie in »Die Drei von der Tankstelle«
mit Heinz Rühmann nahmen mir uniformierte Jungs alles ab. Sie putzten auch die Scheibe und sahen das Öl nach. Vor allem aber: Sie lotsten mich mit großen Gesten wieder von der Tankstelle herunter und fädelten mich in den Verkehr ein. Ein Blick in den Rückspiegel. Da standen die drei und verbeugen sich mit dem Käppi vor dem Bauch. Ein Wohlgefühl. Aber so lernt halt kein Japaner, wie man mit einer Zapfsäule umgeht.
    An jeder Baustelle stehen Rentner in Fantasieuniformen mit Leuchtstäben und passen auf, dass Baufahrzeuge, Autos und Fußgänger gut aneinander vorbeikommen. In der Nähe meiner Wohnung entstand während zwei Monaten ein neues Apartmenthaus. Jedes Mal, wenn ein Lastwagen vom Baugrund herunterfuhr, sperrten fünf uniformierte Aufpasser den Bürgersteig ab. Das Spektakel ging los, indem sie die Fußgänger in Sichtweite zum Stehenbleiben aufforderten und sich ihnen schließlich breitbeinig in den Weg stellten. Der fünfte Mann winkte mit einem Leuchtstab den Laster auf die Straße. Das Auto piepste vor seiner Rückwärtsbewegung zur Warnung. Dann gab die Truppe den Bürgersteig mit großer Geste, Verbeugungen, Entschuldigungen und Danksagungen wieder frei.
    In Deutschland dagegen muss ich um Baustellen herumnavigieren und meine Einkäufe selbst in die Tüte packen. Muss mich gegenüber Putzfrauen durchsetzen, die mich nicht durchlassen wollen, weil gerade gewischt wurde. Was passiert mit Leuten, frage ich mich, die richtig lange in Japan bleiben? Werden die so unselbständig wie die Japaner und kommen ohne die Luftpolsterfolie des japanischen Alltags gar nicht mehr aus?

    In Tokio ging ich auch manchmal zur Ohrputzerin. Daher wusste ich, dass mein Gehörgang am Rande rosa schimmerte und in der Mitte öfter braun verklumpte. Kanno-san, die Ohrpflegerin, zeigte mir das Innere meines Ohres auf einem Panoramabildschirm vor mir an der Wand. »Ach je, hier ist es etwas verhärtet«, sagte sie

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