Tokio Vampire
phlegmatischer Typ. Aber wenn es um Are ging, schienen alle irgendwie auszuflippen.
Wir waren schon ein seltsames Grüppchen im Ambiente. Aber Are bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit, ich nahm an, dass es ihm nicht einmal auffiel, dass wir hier nicht herpassten. Aus Verlegenheit bestellte ich mir eine Cola.
Philipp legte das Aufnahmegerät auf den Tisch und grinste etwas unsicher. Dann ordnete er seine Zettel.
„Können wir?“
„Klar“, sagte Are.
Gespannt verfolgte ich das Interview. Philipp war echt richtig nervös, soviel stand fest. Aber er meisterte seine Sache erstaunlich gut. Ich fand, er stellte auch interessante Fragen.
Bei der Frage nach den nächsten Terminen der Band stockte mir allerdings ein wenig der Atem. Are und seine Jungs würden demnächst auf Europatournee sein. Das hatte ich nicht gewusst. Und mir wurde erst jetzt klar, was es bedeutete, in einer Band zu sein, die mit einem Schlag bekannt geworden war: Termine, Konzerte, Termine und noch mehr Auftritte.
Ich würde Are in nächster Zeit gar nicht sehen. Aber, auch wenn ich sicher war, dass zwischen uns ohnehin nichts lief, ich wollte ihn sehen! Ich wollte bei ihm sein, einfach nur in seiner Nähe.
„Zwei Auftritte haben wir noch in Deutschland“, präzisierte Are gerade. „Danach geht’s rüber nach Luxemburg, England und Frankreich.“
Ich biss die Zähne zusammen.
„Die Single ist in Frankreich bereits auf Platz 1. Hattet ihr damit gerechnet?“
Are grinste. „Nein, ich bin selbst überrascht. Wir müssen schon jetzt auf größere Hallen ausweichen. Aber im Moment macht das Ganze Spaß.“
„Also zählt bei dir in erster Linie der Spaßfaktor?“, fragte Philipp.
„Klar, nur“, antwortete Are. „Ich lebe nach dem Lustprinzip.“
„Und was passiert mit der Band, wenn du keine Lust mehr hast?“
„Also, ich könnte ewig so weitermachen“, witzelte Are. Wie ernst es ihm damit war, das konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal ansatzweise ahnen.
Auf dem Heimweg versank ich in brütendes Schweigen. Warum war ich nur so blöd gewesen? War doch klar, dass Are nicht dauerhaft in meinem Leben gelandet war. Es war eher erstaunlich, dass ich ihn überhaupt kennengelernt hatte. Alle Überlegungen, mit ihm mitzureisen, jedes Konzert zu besuchen, und so weiter, verwarf ich sofort wieder. Das war vollkommen illusorisch. Erstens musste ich zur Schule, zweitens würden meine Eltern so einen Irrsinn überhaupt nicht mitmachen und Millionäre waren wir auch nicht. Und so war ich übellaunig und gereizt, als Are vor unserer Haustür hielt. Ich ging davon aus, dass er mich einfach rausschmiss, aber er machte Anstalten mit auszusteigen. Und im Grunde wollte ich nichts lieber als das, aber die Aussicht, ihn bald gar nicht mehr zu sehen, tat schon ziemlich weh. Ich mochte ihn viel lieber, als gut für mich war. Egal, was da zwischen Are und Marc lief. Oder zwischen Are und Leo ...
„Ich weiß n-n-nicht, ob jemand da ist“, brummte ich unfreundlich.
Are schenkte mir einen langen Blick. „Es ist keiner da“, erklärte er dann.
Woher zum Teufel wollte er das wissen? War er Hellseher oder was?
Aber er hatte recht. Alle waren ausgeflogen.
Ich lud ihn nicht ein, aber er folgte mir auf mein Zimmer. Warum setzte mein Verstand nur immer aus, sobald Are in der Nähe war? Ich war sonst durchaus in der Lage zusammenhängend zu denken, aber auch jetzt war diese Fähigkeit weitestgehend ausgeschaltet. In mir herrschte ein Tumult, nicht nur in meinem Kopf, nein, auch meine Eingeweide krampften sich immer wieder zusammen. Und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Also machte ich nichts, und ich sagte auch nichts. Ich benahm mich auf ganzer Linie wie ein Volltrottel, aber ich hatte keine Alternative.
„Was ist los mit dir?“
War ja klar, dass Are das wissen wollte. Aber was sollte ich ihm sagen? Ich konnte ihm nichts erklären. Was, wenn ich ihm ein heißes Liebesgeständnis aufs Auge drückte und er mich nur ungläubig ansah? Das wäre die totale Blamage gewesen!
Ich zuckte mit den Schultern.
Und dann gingen mit einem Mal die Lichter aus, ich versank in einem watteweichen Wolkengefühl, wurde immer tiefer gezogen, bis aus den Wolken ein Sumpf wurde. Da wurde ich panisch. Ich strampelte und kämpfte. Aber ich kam nicht wieder an die Oberfläche. Meine Atmung setzte aus. Kurzzeitig wusste ich nicht einmal mehr, wie ich hieß! Das war der blanke Horror!
„W-w-w-was ...?“ Ich kämpfte mich aus diesem Gefühl heraus.
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