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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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bereits. Sie trug einen Bademantel und tippte einen Artikel über die neuesten Trends bei japanischen Socken, hatte ein Bad für mich eingelassen und gebratenen Reis auf den Herd gestellt.
    Als sie mich fragte, wie mein Tag gewesen sei, erzählte ich ihr alles. Natürlich erwartete ich eine Szene, aber sie war weder schockiert noch wütend, sondern hörte interessiert zu, während ich ihr berichtete, was ich an diesem Abend getan und gelernt hatte. Sogar den Massagesalon erwähnte ich.
    »Na ja, wenn dieser Polizist dich eingeladen hat, konntest du wohl nicht ablehnen. Aber lass es nicht zur Gewohnheit werden. Ach, hast du eigentlich noch was übrig?«
    »Wovon?«
    »Sperma. Es ist wieder so weit. Schau in deinen Notizblock, Jakey.«
    Also öffnete ich den Notizblock, und tatsächlich – neben dem Datum stand ein großes O in Sunaos Handschrift. O bedeutete Ovulationstag. Einfach ins Bett zu kriechen war also kaum möglich. Ich verzog ein wenig das Gesicht, aber Sunao lächelte nur.
    »Keine Sorge, Jake. Heute berechne ich dir nichts. Es geht aufs Haus.«
    Anmerkung: Soapland-Belanglosigkeiten
    Die Soapland-Clubs in Japan hießen früher toruko , türkische Bäder. Das missfiel einem Türken, der in Japan wohnte, so sehr, dass er eine Kampagne startete, um den Namen ändern zu lassen. Die Yomiuri berichtete Ende der Sechziger- oder Anfang der Siebzigerjahre darüber. Japan beugte sich schließlich dem internationalen Druck und löste das Problem, indem es den Sexshops einen unverfänglichen Spitznamen gab: Soapland.
    Übrigens bedeutet das japanische Wort für Oralsex-Puppen übersetzt »Holländische Ehefrau«. Die niederländische Botschaft hat allerdings bisher noch nicht dagegen protestiert. Sollte das passieren, werde ich daraus eine Schlagzeile machen.

Meine Nacht als Animateur
    Man kann Kabukicho als Beispiel für die soziale Verderbtheit des japanischen Lebens betrachten, aber auch als Mikrokosmos menschlicher Beziehungen im Allgemeinen. Clubs mit weiblichen und männlichen Animateuren sind wohl der am meisten missverstandene Aspekt der japanischen Vergnügungsindustrie. Es geht dort nicht um Sex, sondern um die Illusion von Intimität und die erregende Aussicht auf Sex.
    Intimität ist in Japan eine Ware, die man selten umsonst bekommt. In den USA ist es nicht anders. Nur bezahlen wir andere Leute.
    In den Vereinigten Staaten bezahlen wir Psychiater, Therapeuten, Berater und Trainer dafür, dass sie sich unsere Probleme anhören, unser Selbstvertrauen stärken, so tun, als würden sie uns mögen, und uns gute Ratschläge geben. Freunde tun das zwar kostenlos, aber Freunde ziehen sich gerne zurück, wenn es wirklich Probleme gibt. Viele Japaner halten es für ein Zeichen von Schwäche, zu einem Seelenklempner zu gehen – für das Eingeständnis, ein psychisches Problem zu haben. Darum neigen sie immer noch dazu, auf bezahlte Freundschaften dieser Art zu verzichten.
    Als Reporter in Kabukicho lernte ich, dass ein Japaner, der sein Ego – nicht seinen Penis – streicheln lassen, sich ausweinen oder jemandem von seinen Problemen erzählen möchte, nicht nach Hause zu seiner Frau geht, sondern in einen Hostessenclub. Das ist kein Sexclub und auch kein fuzokuten (Club für Singles). Es ist meist eine kleine Bar mit mehreren attraktiven Frauen, die den Gast herzlich begrüßen, sich mit ihm aufs Sofa setzen und mit ihm plaudern, mit ihm Karaoke singen und so tun, als wäre er ihr Liebster oder als wollten sie ihn verführen.
    Die Mama-san, die Frau, die eine Hostessen-Bar leitet, ist meist eine ehemalige Hostess, deren Stimme rau geworden ist, da sie jahrelang passiv geraucht, verdünnten Whiskey getrunken und zu wenig geschlafen hat.
    Es ist nicht unmöglich, dass eine Hostess sich wirklich mit einem Kunden anfreundet, aber eher selten. Denn damit verliert sie einerseits eine Einnahmequelle, andererseits besteht auch die Gefahr, dass sie andere Kunden abschreckt. Denn die Hostess muss immer so tun, als stünde sie jedem zur Verfügung, um Männer zu einem Liebeswerben zu ermuntern, das eines Tages in Sex gipfeln könnte. Auf dem Weg zu diesem Ziel, das nur wenige regelmäßige Kunden jemals erreichen, gibt ein Mann vielleicht 10 000 Dollar im Jahr für die Hostess aus, da er ihre Getränke bezahlt, Geburtstagsgeschenke kauft und sie gelegentlich zum Essen ausführt.
    An einem kühlen Tag im Oktober 1999 hing ich im Revier von Kabukicho herum und plauderte mit einem Polizisten. Er erzählte etwas von einer

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