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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Schultern durch, ballte ein-, zweimal die Fäuste und setzte sich in Bewegung.
    Ich wich erschrocken zurück, lief in mein Zimmer, knallte die Tür zu und verriegelte sie. Stolperte rücklings über Bücher und Papiere, rempelte blind gegen Dinge. Ich drückte mich an die Wand, starrte auf die Tür und rang nach Luft. Jason, dachte ich panisch. Jason, sie sind zurückgekommen, um an dir Rache zu üben. Was für Spielchen hast du mit ihr getrieben?
    Minuten vergingen, ohne dass jemand kam - Zeit, in der sie alles Mögliche mit Jason hätten anstellen können. Zeit, in der ich dachte, ich sollte zu einem Telefon laufen und die Polizei rufen. Dann, gerade als ich davon überzeugt war, dass der Chimpira nicht auftauchen würde, dass er und die Krankenschwester lautlos das Haus verlassen haben mussten, hörte ich ganz deutlich Schritte im Korridor.
    Ich rannte zum Seitenfenster, zerrte hektisch an den Kanten des Fliegengitters. Eine der Angeln brach. Ich warf das Gitter zur Seite, riss das Fenster auf und sah nach unten. Knapp anderthalb Meter unter mir ragte eine Klimaanlage vom Nachbargebäude hervor, die vielleicht mein Gewicht tragen würde. Von dort war es ein weiterer, tieferer Sprung hinab in den schmalen Spalt zwischen den Gebäuden. Ich drehte mich um und starrte auf die Tür. Die Schritte waren verstummt, und in der furchtbaren Stille murmelte der Chimpira etwas Unverständliches. Dann ließ ein Tritt die dünne Tür zersplittern.
    In Panik kletterte ich auf den Fenstersims. Ich konnte gerade noch sehen, wie sich sein Arm durch das Loch reckte und seine körperlose, aus dem lavendelfarbenen Anzug ragende Hand im Dunkeln nach dem Riegel tastete. Dann stieß ich mich ab und landete krachend auf der Klimaanlage, die unter meinem Gewicht schwankte. Irgendetwas in meinem Fuß knackste. Ich legte mich auf den Bauch und ließ die Beine in die Dunkelheit hinabbaumeln. Dann stieß ich mich ab und landete mit einem klatschenden Laut auf dem Boden. Dabei schlug ich mit dem Gesicht schmerzhaft gegen die Plastikverschalung des Nachbarhauses.
    Über mir ertönte das Geräusch von etwas Metallenem, einer Schraube oder Angel vielleicht, die quer durchs Zimmer katapultiert wurde. Ich holte tief Luft, sprang auf die Füße, rannte hinaus in die Gasse und in die Lücke zwischen zwei Gebäuden gegenüber, wo ich keuchend in Deckung ging. Nach einer Weile wagte ich mich zögernd vor und schaute in stummem Entsetzen zum Haus.
    Der Chimpira befand sich in meinem Zimmer. Licht, das aus dem Flur hinter ihm hereinschien, ließ jede Einzelheit wie durch eine Lupe größer erscheinen. Ich starrte mit klappernden Zähnen und weit aufgerissenen Augen hinauf. Würde er erraten, wie ich entkommen war? Würde er mich entdecken?
    Er zögerte, dann tauchte sein Kopf auf. Ich wich in die Lücke zurück. Er nahm sich viel Zeit, das Fenster und die Gasse darunter in Augenschein zu nehmen. Als er endlich den Kopf wieder zurückzog, verschwand er aus meinem Blickfeld, so dass nur das leere Zimmer und die schaukelnde Glühbirne zu sehen waren.
    Die Krankenschwester und der Chimpira blieben über eine Stunde in unserem Haus. Ich beobachtete sie dabei, wie sie durch die Korridore streiften, Türen zuschlugen und Fensterläden aus ihren Angeln rissen. Glas splitterte, und Papiertüten wurden zerfetzt. Sie warfen Möbelstücke um und rissen das Telefon aus der Wand. Und die ganze Zeit über, während ich frierend zwischen den Gebäuden kauerte, hatte ich nur einen Gedanken: Shi Chongming. Sie hätten mich nicht in diese Sache hineinziehen dürfen. Sie hätten mich nicht in eine so gefährliche Sache hineinziehen sollen. Denn hier ging es um viel, viel mehr, als ich mir jemals hätte vorstellen können. 46
    Ich erinnere mich an den Rest der Nacht wie an einen jener Zeitrafferfilme, die eine sich öffnende Blüte zeigen. Zoom ... und da ist der Furcht erregende Schatten der Krankenschwester und Jasons. Zoom ... und da kauere ich zitternd zwischen den Gebäuden und beobachte, wie die Krankenschwester und der Chimpira das Haus verlassen, wie sie kurz in der Tür stehen bleiben und sich auf der Straße umsehen. Der Chimpira schwenkt einen Schlüsselbund, und die Krankenschwester zieht den Gürtel ihres Regenmantels enger, bevor beide verschwinden. Ich friere, mein Körper ist taub, und wenn ich die Stelle im Gesicht berühre, wo ich gegen die Wand geprallt bin, tut es nicht so weh, wie es sollte. Blut klebt an meiner Nase und dort, wo ich mir auf die Zunge

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