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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gebissen habe. Dann macht es abermals Zoom ... die Krankenschwester ist nicht zurückgekommen. Die Gasse liegt still und verlassen da, und die Haustür steht sperrangelweit offen. Also schleiche ich mich mit schlotternden Knien die Treppe hinauf, zögere bei jedem Schritt. Dann bin ich in meinem Zimmer und starre ungläubig auf die Verwüstung. Meine Kleider liegen auf dem Boden verstreut, alle Schubladen sind offen und durchwühlt. Dann Zoom ... und ich stehe in der Mitte des Zimmers und blicke in eine leere Handtasche, und mich überkommt Verzweiflung, denn es ist die Handtasche, in der ich all das Geld aufbewahre, das ich die letzten Monate verdient habe. Es ist mir bis jetzt noch nie der Gedanke gekommen, es irgendwo sicher zu verwahren, doch jetzt wird mir klar, dass die Krankenschwester und der Chimpira nicht nur hergekommen
    sind, um Jason zu quälen, sondern auch, um sich alles aus diesem verschachtelten Haus unter den Nagel zu reißen, dessen sie habhaft werden können.
    Ich ging in den Korridor hinaus. Das Licht, das durch die zerbrochenen Galeriefenster schien, warf scharfkantige Schatten auf die Tatami-Matten. Es war gespenstisch still, abgesehen vom Tropfen des Wasserhahns in der Küche. Jede einzelne Abstellkammer war geplündert worden. Die meisten Türen standen weit offen, die verstaubten alten Möbel lagen achtlos herum. Es war so, als hätte die Abrissbirne bereits ihr zerstörerisches Werk begonnen. Nur die Tür von Jasons Zimmer war geschlossen und zog meinen Blick magisch an.
    Statt bei ihm anzuklopfen, ging ich in Irinas Zimmer. Als ich die Tür aufzog, wichen zwei Gestalten ängstlich zurück; Svetlana und Irina drängten sich schlotternd vor Angst in eine Ecke. »Ich bin's«, flüsterte ich und streckte meine Hände aus, um sie zu beruhigen. »Ich bin's.«
    Es dauerte einen Moment, bis sie sich beruhigten und erleichtert auf den Boden sanken. Ich ließ mich neben ihnen nieder. Irina sah schrecklich aus. Ihr Make-up war ganz verlaufen und verschmiert. »Ich will nach Hause«, hauchte sie.
    »Ich will nach Hause.«
    »Was ist passiert? Was hat sie getan?«
    Svetlana tätschelte Irinas Rücken. »Es«, zischte sie. »Es, nicht sie. Es kommen herein - schubsen uns hier rein, und der andere nehmen all unser Geld weg. Alles.«
    »Hat sie euch etwas getan?«
    Sie schnaubte verächtlich. Aber das war nur Schau, ihre übliche Beherztheit war verflogen. »Nein. Aber es fassen uns nicht an, um uns machen zu lassen - pfsscht.« Sie fuchtelte wild mit der Hand herum, um zu verdeutlichen, wie sie beide vor Angst in die Ecke geflüchtet waren.
    Irina wischte sich mit ihrem T-Shirt die Tränen ab. »Es ist ein Ungeheuer, ich dir sagen. Ein leibhafter D'yavol.«
    »Woher sie wissen, dass wir Geld haben, hmm?« Svetlana
    versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, doch ihre Hände zitterten so sehr, dass sie die Flamme nicht unter Kontrolle bekam. Sie gab auf und sah mich an. »Du haben jemand erzählt, wie viel Geld wir machen?«
    »Sie sind nicht wegen des Geldes hergekommen«, erwiderte ich.
    »Doch sind sie. Alles immer wegen Geld.«
    Ich antwortete nicht, kaute an meinem Daumen und dachte: Nein. Ihr versteht nicht. Jason hat sie hierher geführt. Was immer er der Krankenschwester auf der Party getan oder gesagt hat - wir zahlen jetzt den Preis dafür. Die Stille in seinem Zimmer ließ mich schaudern. Was würden wir vorfinden, wenn wir die Tür öffneten? Was, wenn - ich erinnerte mich an das Foto in Shi Chongmings Mappe -, was, wenn wir die Tür öffneten und sahen ...
    Ich stand auf. »Wir müssen zu Jason gehen.«
    Svetlana und Irina schwiegen. Sie sahen mich ernst an.
    »Was ist?«
    »Du hast nicht gehört den Lärm, er machen?«
    »Ein bisschen - ich habe geschlafen.«
    »Nun, wir...«, Svetlana hatte es endlich geschafft, ihre Zigarette anzuzünden, »... wir alles gehört.« Sie sah zu Irina, als suchte sie nach Bestätigung. »Mhmmm. Und wir nicht wollen nachschauen.«
    Irina schüttelte den Kopf. »Nein. Wir nicht.«
    Mutlos sah ich sie an. »Nein«, sagte ich steif. »Natürlich nicht.« Ich ging zur Tür und starrte den Korridor entlang zu Jasons Zimmer. »Natürlich sollte ich das machen.«
    Svetlana stellte sich hinter mich, legte eine Hand auf meine Schulter und spähte in den Flur hinaus. Vor Jasons Zimmer lag ein Koffer umgedreht an der Wand, dessen Inhalt zum Teil auf dem Boden verstreut war. Jasons Kleidung, sein Reisepass, ein Umschlag, voll gestopft mit Papieren. »Mein Gott«,

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