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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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drehte anschließend den Hahn zu und setzte sich wieder. Seine Miene hatte sich etwas entspannt. »Ich entschuldige mich.« Er betrachtete seine alten, dürren Hände, die auf dem Schreibtisch ruhten. »Nun«, sagte er schließlich,
    »Kannibalismus, ja? Wenn Sie das glauben, dann bringen Sie mir Beweise.«
    »Was? Sie verlangen noch mehr? Ich habe alles getan. Alles, was Sie mir aufgetragen haben.« Ich dachte an das demolierte Haus, die kaputten Fenster, die eingetretenen Türen und all das gestohlene Geld. Ich dachte an den Schatten der Krankenschwester, während sie was? mit Jason anstellte. »Sie haben Ihr Versprechen gebrochen. Sie haben schon wieder Ihr Versprechen gebrochen.«
    »Wir hatten eine Abmachung. Ich brauche Beweise, keine
    Spekulationen.«
    »Das haben Sie nicht gesagt!« Ich ging zu dem Projektor
    und zog ihn aus der Ecke. Riss die Plastikhülle herunter, drehte ihn auf seinem Rollgestell herum. »Ich brauche den Film.« Ich ging zu den Regalen, zog Bücher heraus, warf sie auf den Boden und griff in die Lücken dahinter. Ich schubste Stapel von Papieren auf den Boden und riss die Vorhänge auf. »Wo haben Sie ihn versteckt? Wo ist er?«
    »Bitte, setzen Sie sich, und dann reden wir.«
    »Nein, Sie verstehen nicht. Sie sind ein Lügner.« Ich erhob meine Stimme. »Sie sind ein Lügner.«
    »Der Film befindet sich unter Verschluss. Ich habe den Schlüssel nicht hier. Wir könnten jetzt nicht an ihn gelangen, selbst wenn ich wollte.«
    »Geben Sie ihn mir!«
    »Das reicht!« Er sprang auf und deutete wütend mit seinem Stock auf mich. »Ich verbitte mir«, presste er mühsam hervor,
    »ich verbitte mir, dass Sie mich beleidigen. Sie begreifen nicht im Geringsten, womit Sie es zu tun haben. Und jetzt setzen Sie sich hin.«
    »Was?«, fragte ich, verblüfft über seinen Ausbruch.
    »Setzen Sie sich hin, und hören Sie mir aufmerksam zu.«
    Ich starrte ihn mit großen Augen an. »Ich verstehe Sie nicht«, flüsterte ich und deutete mit dem Finger auf ihn. »Sie. Ich verstehe Sie nicht.«
    »Selbstverständlich nicht. Und jetzt hinsetzen.«
    Ich nahm Platz und funkelte ihn wütend an.
    »Bitte.« Shi Chongmings Atem ging schwer, er rang offensichtlich um Fassung, strich seine Jacke glatt, als könnte er damit seinen Zorn vertreiben. »Bitte - Sie täten gut daran zu lernen, dass es gelegentlich von Nutzen ist, Dinge zu bedenken, die sich Ihrem Verständnis entziehen...« Er tupfte sich die Stirn ab. »Also, erlauben Sie mir, Ihnen ein kleines Zugeständnis zu machen.«
    Ich schnaubte gereizt. »Ich will kein kleines Zugeständnis, ich will den ...«
    »Hören Sie zu!« Er hob die Hand. »Mein Zugeständnis ...
    ist, Ihnen zu sagen, dass Sie Recht haben. Oder, zumindest, dass Sie im Großen und Ganzen Recht haben. Ihre Vermutung ... Ihre Vermutung, dass Fuyuki...« Er legte seine Hände auf den Schreibtisch und starrte sie an, als würde ihm das helfen, sich zu konzentrieren. »Ihre Annahme in Bezug auf ...«, er hielt kurz inne und fuhr dann mit fester Stimme fort, »... Kannibalismus, damit liegen Sie fast richtig.«
    »Nicht >fast    Er hob wieder die Hand. »Sie haben in einigen Dingen Recht. Nicht in allen. Vielleicht sogar damit, was diese abscheulichen Gerüchte angeht - dass auf Tokios Märkten Menschenfleisch verkauft wurde! Mögen die Götter es verzeihen, die Yakuza hat den Hungernden dieser ehrwürdigen Stadt schreckliche Dinge angetan, und Leichen waren in jenen Tagen in Tokio nicht gerade selten. Aber Kannibalismus im Namen der Medizin?« Er nahm eine Büroklammer und fing an, sie geistesabwesend zu verbiegen. »Das ist etwas anderes. Wenn er in der japanischen Unterwelt existiert, dann hat er möglicherweise schon vor Jahrhunderten Einzug in gewisse Schichten der japanischen Gesellschaft gehalten und dann vielleicht wieder in den Vierzigern, nach dem Pazifikkrieg.« Er bog aus der Büroklammer einen Kranich, stellte ihn auf den Schreibtisch und betrachtete ihn eingehend. Dann faltete er die Hände und sah mich an. »Und deshalb müssen Sie mir sehr
    aufmerksam zuhören. Ich werde Ihnen genau erklären, warum ich Ihnen den Film noch nicht geben kann.«
    Ich lehnte mich wutschnaubend zurück und verschränkte die Arme. »Wissen Sie, Ihre Stimme geht mir wirklich auf die Nerven«, sagte ich. »Manchmal hasse ich es richtiggehend, Ihnen zuzuhören.«
    Shi Chongming musterte mich lange. Plötzlich hellte sich seine Miene auf,

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