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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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entschlossen hindurch, schloss die Tür sorgfältig hinter mir und stieg, mich fest an das wacklige Geländer klammernd, zwei Stufen hinab. Ich ging in die Hocke und ließ das Licht der Taschenlampe über den Raum gleiten. Es war ein kleiner Keller, möglicherweise eine Speisekammer, rund einsfünfzig mal drei Meter groß, die Wände aus dicken Steinblöcken. Auf Kopfhöhe waren Borde mit rostigen Halterungen angebracht, auf denen Hunderte von alten Einmachgläsern standen, deren Inhalt längst verdorben sein musste. Darunter breitete sich ein Teppich aus blassrosa Algen aus. Die Treppe führte schnurgerade hinab in einen fauligen unterirdischen Tümpel. Ich schaute wieder zurück zu der geschlossenen Tür, lauschte angestrengt hinaus in die dunklen Räume, durch die ich gekommen war. Stille. Ich hatte auf einem Ast gestanden und konnte keine Fußabdrücke unter dem Fenster hinterlassen haben. Auch meine Spur durch das Gebüsch war praktisch nicht zu sehen. Vielleicht hatten sie mich gar nicht gehört und überprüften nur routinemäßig alle Fenster. Ich wandte mich um und schwenkte den Lichtstrahl über den Keller. Aus einem kleinen Riss im Putz der Wand rechter Hand tröpfelte ein dünnes Rinnsal braunen Wassers. Jason hatte mir erzählt, dass die Abwasserrohre in der Straße während eines Erdbebens gebrochen waren und den Keller mit Wasser gefüllt hatten. Grüne und kupferfarbene Ränder markierten den über die Jahre sich verändernden Wasserspiegel. Der Lichtstrahl fiel auf einen niedrigen, gemauerten Gewölbebogen. Ich beugte mich vor und lenkte das Licht nach oben. Es war ein Tunnelgang, voll mit Wasser, der sich tief ins Haus hinein erstreckte. Es war unmöglich, sich ...
    Ich erstarrte. Ein lauter Knall hallte durch die Räume, so als ob das lose Gitter des Fensters aus seiner Verankerung gerissen worden wäre.
    Angst verschlug mir den Atem. Ich streckte die Taschenlampe vor mir aus wie eine Waffe und stieg ins Wasser. Es war eiskalt. Meine Kiefermuskeln verkrampften sich, und ich musste unwillkürlich an Zähne denken, an Flossen und Mäuler und die Möglichkeit, dass irgendwelche Tiere in diesen ekligen braunen Fluten hausten. Ich dachte an den japanischen Vampirkobold, Kappa, den im Wasser lebenden Jäger, der unachtsame Schwimmer an ihren Füßen nach unten zog und
    ihnen das Blut aussaugte. Tränen schössen mir in die Augen, während ich weiterwatete.
    An der gegenüberliegenden Wand blieb ich stehen und schaute zurück. Das Wasser um mich herum hörte ganz langsam auf zu schwappen.
    Dann zerriss ein erneuter Knall die Stille. Möbelstücke wurden umgestoßen. Ich sah mich verzweifelt um. Wo konnte ich mich verstecken? Der Tunnelgang. Ich bückte mich, bis mein Kinn fast die Wasseroberfläche berührte. Einige der Einmachgläser versanken im Wasser. Ich schob meine Hand in das dunkle Innere des Tunnels, drehte sie seitwärts, öffnete und schloss meine Finger, so dass sie an der schleimigen Decke schabten. Erst als ich meinen Arm ganz ausgestreckt hatte und meine Wange fest an die Wand drückte, konnte ich einen Anstieg in der Decke ertasten und fühlen, wie meine Hand ins Freie griff. Ich zog meinen Arm zurück und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Wie lang war der Tunnel? Einen halben, einen Dreiviertelmeter vielleicht? Nicht weit. Gar nicht weit. Vor Angst schlotternd schaute ich erneut zurück zur Treppe. Irgendwo ganz in der Nähe, möglicherweise in der Küche,
    krachte es abermals. Mir blieb keine andere Wahl. Ich holte das Bündel hervor und knotete es fest zusammen, um den Inhalt vor dem Wasser zu schützen, dann stopfte ich es wieder unter meine Jacke und zog den Reißverschluss bis zum Hals zu. Dabei entglitt mir die Taschenlampe und landete auf dem Algenteppich. Ich griff nach ihr und bekam sie zu fassen, doch dann entglitt sie mir von neuem. Diesmal gab der Algenteppich nach und ließ die Taschenlampe im Wasser versinken. Ich streckte verzweifelt den Arm nach ihr aus, doch meine Hände bewegten sich unter Wasser wie in Zeitlupe, während die Taschenlampe lautlos und träge kreiselnd tiefer sank, bis ihr fahles gelbes Licht zu einem bloßen Schimmer verblasste. Dann, ganz in meiner Nähe, plumpste etwas Kleines, doch Schweres ins Wasser und schwamm davon.
    Vor Schreck schössen mir Tränen in die Augen. Die Taschenlampe. Die Taschenlampe. Du brauchst sie nicht. Du schaffst es auch ohne sie. Was ist das im Wasser? Nichts. Eine Ratte. Denk nicht darüber nach. Oben an der Treppe drang

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