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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Pforte hinaus und blickte auf die Straße - und da traf es mich wie ein Schlag: Es gab keine Spuren - keine Spuren im Schnee. Ihr wird sofort klar sein, dass ich nicht durch die Pforte verschwunden bin ...
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    Ich schob das Bündel unter meine Jacke, zog den Reißverschluss zu, nahm den Stein und schlich lautlos zu dem kaputten Sicherheitsgitter, das schief in seinen Angeln hing. Das Fenster war noch genau in dem Zustand, an den ich mich erinnerte: einen Spalt weit offen, die Scheibe von Moos überzogen. Ich beugte mich so weit vor, wie es ging, hielt mich dabei am Fensterrahmen fest und zog mich über den Streifen unberührten Schnees auf einen abgebrochenen Ast, der an der Wand lag. Ich stand einen Moment lang schwankend da, und mein Atem ließ die Scheibe beschlagen. Als ich sie abwischte, starrte mir mein eigenes Gesicht
    entgegen, und ich wäre vor Schreck beinahe gestürzt. Ruhig, ruhig, konzentrier dich. Ich drehte mich um und spähte durch das Gestrüpp. Sie hatte sich nicht von der Stelle bewegt, wandte mir noch immer den Rücken zu, den Blick auf die Straße gerichtet. Der Chimpira war aus dem Eingang getreten und beobachtete sie, ebenfalls mit dem Rücken zu mir.
    Ich zog das Fenster Millimeter um Millimeter auf, hob dabei die Scheibe leicht an, damit sie nicht quietschte - und genau in diesem Moment wandte sich die Krankenschwester von der Pforte ab und schaute wieder in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    Ich wartete nicht ab, kletterte durch den Spalt und landete mit einem Sprung im Haus. Dort kauerte ich mich nieder, entsetzt von dem Lärm, den ich verursacht hatte, und wartete, bis das Geräusch verhallt war. Irgendwo in der Dunkelheit hörte ich das Trippeln von Ratten. Ich knipste die Taschenlampe an, hielt schützend meine Hand darüber und ließ
    den Lichtstrahl über den Steinfußboden wandern. Der Raum war eng und voll gestopft mit Sperrmüll. Ein kleines Stück weiter entdeckte ich einen türlosen Durchgang, der in das Haus führte. Ich knipste die Taschenlampe aus und kroch auf allen vieren durch Spinnweben und Staub zum ersten Durchgang, dann weiter zum nächsten, drang so weit in das Zimmergewirr vor, bis ich sicher war, dass sie mich nicht finden würden. Ich hielt inne und schaute zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Das Einzige, was ich hören konnte, war das Pochen meines Herzens. Habt ihr mich gesehen? Stille. Irgendwo in der Dunkelheit vernahm ich ein Tropfgeräusch, und da war auch der Geruch von stehendem Wasser und Verfall.
    Ich verharrte dort fast eine Ewigkeit, bis ich es wagte, die Taschenlampe anzuknipsen. Der Lichtstrahl schien auf Möbelberge und Balken, die aus der Decke herausgebrochen waren. Mit zitternden Händen holte ich das Bündel unter meiner Jacke hervor. Ich hatte etwas Schweres erwartet, doch das hier war so leicht, als enthielte es Balsaholz oder dürre Knochen. Ich streckte meine Hand in die Tüte und fand etwas in Klebeband Gewickeltes, eine glatte Oberfläche, dick und glänzend. Blut würde nicht lange daran haften. Ich musste mich eine Weile an die Wand lehnen und durchatmen, denn der bloße Gedanke an das, was ich da in Händen hielt, schien mich zu überwältigen. Ich zupfte an dem Klebeband, löste eine Ecke und zog daran, als ich weit entfernt in der Dunkelheit ein unverkennbares Geräusch vernahm. Metall rieb kreischend gegen Metall. Jemand schob das Fenster auf, durch das ich hereingeklettert war.
    Ich stopfte das Bündel wieder unter meine Jacke und hastete eilig weiter. Von einem Raum zum nächsten, ohne darauf zu achten, was sich in den Zimmern befand. Ich war tief in die Eingeweide des Hauses vorgedrungen, als ich erkannte, dass ich in einer Sackgasse gelandet war. Ich stand in einer Küche mit einer Spüle und einem westlichen Herd, und im Gegensatz zu den vorherigen Räumen gab es da, wo eine Tür hätte sein sollen, nur eine kahle Wand. Es führte kein Weg hinaus. Ich saß in der Falle.
    In Panik ließ ich die Taschenlampe hektisch über die Wände, die Spinnweben und den abblätternden Putz der Decke gleiten, bis der Lichtstrahl auf ein dünnes Türbrett in einer Ecke fiel. Ich stürzte darauf zu, zerrte daran und verletzte mir dabei die Hände. Die schmale Tür öffnete sich mit einem knarzenden Geräusch, das durch die Räume hallte.
    Ich leuchtete mit der Taschenlampe hinein und sah, dass es keine Speisekammer, sondern ein Durchgang war, der sich auf eine modrige Treppe hin öffnete, die in die Dunkelheit führte. Ich trat

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