Tokio
dich angeht, dass du nicht einmal versucht hast, sie aufzuhalten.«
Dann hatte sie schmatzend ihre Lippen geleckt, ein Geräusch, als würden in der Dunkelheit Schenkel klatschend zusammenschlagen. »Wenn du meine Meinung hören willst, du bist wirklich der perverseste Mensch, der mir je untergekommen ist.«
Die Ärzte sagten, dass es alles eine Frage der Kontrolle sei.
»Wir alle verspüren Verlangen, haben Triebe. Sie machen uns zu Menschen. Der Schlüssel zu einem glücklichen, ausgeglichenen Leben ist zu lernen, sie zu kontrollieren.«
Aber da war es natürlich schon längst zu spät, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Dazu braucht man viel Übung, und man musste nur einen Blick auf mein Krankenblatt werfen oder mich nackt sehen, um zu erkennen, dass es für mich in der Zukunft kein großartiges Geschlechtsleben mehr geben würde. 7
Am Ende kamen die Russinnen und ich zu einem Kompromiss. Ich erlaubte ihnen, die Heftklammern in meinem Rock zu lassen, sie erlaubten mir, mein Haar glatt an meinen Kopf zu drücken und den schillernden Lidschatten zu entfernen. Stattdessen zog ich sehr sorgfältig schwarze Linien an meinem Wimpernansatz entlang, denn als ich begann, ernsthaft über Make-up nachzudenken, fielen mir die Bilder ein, die ich in einem Buch über Audrey Hepburn gesehen hatte. Ich war davon überzeugt, dass ich sie gemocht hätte, wenn ich ihr je über den Weg gelaufen wäre. Sie sah immer so freundlich aus. Ich wischte mir das Rouge ab und malte mir die Lippen in einem schlichten, matten Rot an. Die Zwillinge traten ein paar Schritte zurück und betrachteten das Ergebnis.
»Nicht schlecht«, gestand Irina mit säuerlicher Miene. »Du sehen noch immer aus wie Witwe, aber jetzt nicht schlecht Witwe.«
Jason sagte nichts, als er mich sah. Er musterte nachdenklich meine Beine und stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus.
»Kommt«, sagte er und steckte sich eine Zigarette an.
»Aufgeht's.«
Wir gingen in einer Reihe nebeneinander den Bürgersteig entlang. Die Sonne stand niedrig am Himmel und beleuchtete die Hausmauern. In den kleinen Gassen bereiteten sie Lampions für das O-Bon-Fest später in der Woche vor - im Toyaoma-Park wurden bereits die Stände und Spruchbänder aufgestellt, und ein Friedhof, an dem wir vorüberkamen, war von Gemüse, Obst und Reiswein für die Ahnen übersät. Ich schaute mir alles schweigend an, während ich immer wieder stehen blieb, um mein Gleichgewicht zu finden. Irina hatte mir hochhackige schwarze Schuhe geliehen, doch sie waren-zu groß, weshalb ich sie vorne mit Papier ausgestopft hatte und mich beim Gehen sehr konzentrieren musste.
Man brauchte keinen Stadtplan, um den Nachtklub zu finden. Das Gebäude mit den Wasserspeiern auf dem Dach, die ihre roten Flammen in den Abendhimmel spuckten, war meilenweit zu sehen. Wir erreichten unser Ziel, als bereits die Dunkelheit hereinbrach. Ich blieb stehen und starrte an der Fassade empor, bis die anderen ungeduldig wurden und mich am Arm fassten und in einen gläsernen Fahrstuhl zogen, der draußen am Wolkenkratzer bis ganz nach oben fuhr, wo Marilyn Monroe inmitten der Sterne hin-und herschaukelte. Der Aufzug wurde der »Kristalllift« genannt, erklärten sie mir, weil er alle Lichter von Tokio einfing und brach wie ein Kristall. Ich presste meine Nase an das Glas, während wir hinaufsausten, erstaunt darüber, wie schnell sich die schmutzige Straße unter uns verlor.
»Warte hier«, sagte Jason, als der Fahrstuhl hielt. Wir befanden uns in einem Foyer mit Marmorfußboden, das durch eine schlichte Aluminiumtür vom Klub getrennt war. Eine künstliche rote Rose, eins fünfzig hoch, stand in einer riesigen Vase in der Ecke. »Ich schicke Mama-san zu dir heraus.« Er deutete auf eine Plüschchaiselongue und verschwand mit den Russinnen durch die Tür. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen Raum, der so groß wie eine Eisbahn war und die gesamte obere Etage des Gebäudes einnahm. Wolkenkratzer spiegelten sich in dem glänzenden Fußboden. Dann schloss sich die Tür, und ich war bis auf das Garderobenmädchen, dessen Kopf über den Tresen lugte, allein.
Ich schlug die Beine erst übereinander, stellte sie dann wieder nebeneinander. Ich betrachtete mein schemenhaftes Spiegelbild in der Aluminiumtür. Auf den glänzenden
Flügeln prangten in schwarzen Lettern die Worte »Some Like It Hot«.
Die Mama-san des Klubs, Strawberry Nakatani, war laut Jason ein alter Hase. In den Siebzigerjahren war sie ein Callgirl
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