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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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gewesen, berühmt und berüchtigt dafür, dass sie nur in einen weißen Pelzmantel gehüllt in den Nachtklubs auftauchte. Als ihr Ehemann, ein Showgeschäftagent und Gelegenheitsganove, starb, hatte er ihr diesen Klub vermacht. »Guck nicht zu überrascht drein, wenn du sie siehst«, warnte Jason mich. Sie hatte ihr Leben Marilyn Monroe geweiht, erklärte er, sich die Nase umformen und von einem skrupellosen
    Schönheitschirurgen in Waikiki westliche Falten in die Augenlider operieren lassen. »Tu einfach so, als sähe sie toll aus.«
    Ich legte die Hände auf meinen Rock und zog den Stoff stramm über meine Schenkel. Man muss entweder sehr mutig oder sehr verzweifelt sein, um sich nicht geschlagen zu geben, und ich wollte gerade aufgeben und mit dem Fahrstuhl nach unten fahren, als die Aluminiumtür aufging und sie herausstöckelte: eine kleine, platinblonde Frau mit einem Goldlame-Marilyn-Monroe-Kleid, einer Pelzstola und einer verzierten Zigarettenspitze in der Hand. Kompakt und muskulös wie ein chinesisches Schlachtross, ihr asiatisches Haar wasserstoffgebleicht und zu einer Marilyn-Frisur gestylt, trippelte sie auf ihren Stöckelschuhen zu mir herüber, warf dabei gekonnt ihre Pelzstola über die Schulter, während sie die Finger ihrer freien Hand leckte und sich damit die Haare glatt strich. Sie blieb wenige Zentimeter vor mir stehen und studierte schweigend mein Gesicht. Das wär's, dachte ich, gleich setzt sie mich vor die Tür.
    »Steh auf!«
    Ich stand auf.
    »Wo du her? Hmmm?« Sie ging im Kreis um mich herum
    und musterte meine faltige schwarze Strumpfhose und Irinas mit Papier ausgestopfte Schuhe. »Wo du her?«
    »England.«
    »England?« Sie trat einen Schritt zurück, steckte eine Zigarette in ihre Spitze und sah mich durchdringend an. »Ja. Du siehst wie Englischmädchen aus. Warum du wollen hier
    arbeiten? Hä?«
    »Aus dem gleichen Grund wie alle anderen.«
    »Und was das, hmmm? Du magst japanische Männer?«
    »Nein. Ich brauche das Geld.«
    Ihre Mundwinkel verzogen sich, als hätte meine Antwort sie amüsiert. Dann zündete sie ihre Zigarette an. »Okay«, sagte sie. »Prima.« Sie drehte den Kopf zur Seite und blies den Rauch über ihre Schulter. »Du bist heute Abend auf Probe. Du bist nett zu Kunden, dann ich gebe dir dreitausend Yen pro Stunde. Dreitausend. Okay?«
    »Heißt das, dass ich hier arbeiten darf?«
    »Warum du überrascht? Du willst was anderes? Dreitausend. Nimm oder weg, weg, Lady. Ich kann nicht mehr geben.«
    »Ich dachte nur ...«
    Mama Strawberry hob die Hand, um mich zum Schweigen
    zu bringen. »Und wenn es geht prima heute Abend, dann du kommst wieder morgen und trägst hübsches Kleid. Okay? Du nicht tragen hübsches Kleid, und du zahlen zehntausend Yen Strafe. Strafe. Verstanden, Lady? Das hier Erste-Klasse-Klub.«
    Der Nachtklub war der märchenhafteste Ort, den ich je gesehen hatte - der Fußboden ein sternenglitzernder Teich, der fünfzig Stockwerke über der Welt schwebte und ringsum atemberaubende Ausblicke auf die Skyline von Tokio bot. Ich bewegte mich fast ehrfürchtig, während ich die IkebanaBlumenarrangements und die gedämpfte Beleuchtung betrachtete. Es waren bereits ein oder zwei Gäste da, kleine Männer in Anzügen, die es sich, eingehüllt von Zigarettenrauchschwaden, auf den Sitzgruppen oder in weich gepolsterten Ledersesseln bequem gemacht hatten. Auf einem Podium klimperte ein schmallippiger Klavierspieler mit Fliege Arpeggios. Die einzige Stelle, an der das Stadtpanorama unterbrochen war, befand sich dort, wo Marilyn - ihre kahle, von Trägern und Metallstreben gestützte Rückseite - knarrend und ächzend durch die Nacht schaukelte.
    Mama Strawberry saß an einer reich vergoldeten Louisquatorze-Schreibtischimitation direkt vor der MarilynSchaukel, in der einen Hand die verzierte Zigarettenspitze, während sie mit der anderen Zahlen in eine Rechenmaschine tippte. Nicht weit entfernt befand sich der Tisch, an dem die Hostessen saßen und rauchend und schnatternd darauf warteten, einem Gast zugeteilt zu werden - wir waren insgesamt zwanzig, alles Japanerinnen, bis auf mich und die Zwillinge. Irina hatte mir eine Hand voll Sobranie-«Pinks«Zigaretten gegeben. Ich saß schweigend da, rauchte konzentriert und starrte nervös auf die Aluminiumtür, durch die die Gäste eintreten würden.
    Schließlich läutete die Klingel des Fahrstuhls, und eine große Gruppe von Männern in Anzügen kam herein. »Sie dich zu denen setzen«, flüsterte Irina mir hinter

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