Tokio
Schatten in der Nische. »Ja. Ich denke schon.«
Überall in Tokio kann man die Gegenwart der Yakuza spüren: jener Verbrecherbanden, die behaupteten, Nachkommen der Samurai-Tradition zu sein. Sie gehörten zu den gefürchtetsten und gewalttätigsten Männern Asiens. Manchmal war es nur der Lärm der Shozosoicu-Motorradgangs mit ihren mit Kamikaze-Schriftzeichen verzierten Helmen, der einen an ihre Existenz erinnerte, wenn sie wie eine Chromwoge tief in der Nacht die Meiji Dori entlang brausten und alles vor sich her trieben. Dann wieder war man sich ihrer auf weniger offensichtliche Weise bewusst: vereinzelte visuelle Details - das Aufblitzen einer Rolex in einem Cafe, ein grobschlächtiger Mann mit Dauerwelle, der von einem Restauranttisch aufstand und sein Polohemd in eine schwarze Polyesterhose steckte, ein Paar glänzende Schlangenlederschuhe an einem heißen Tag in der U-Bahn. Oder eine Tätowierung an der Hand, die vor einem in der Schlange ein Ticket kaufte. Ich hatte ihnen nie viel Beachtung geschenkt, nicht bis ich an jenem Abend durch den Klub ging und in der angespannten Stille, die sich ausgebreitet hatte, jemanden am Rand der Tanzfläche flüstern hörte: »Yakuza.«
Am Tisch selbst herrschte völliges Schweigen. Alle Hostessen wirkten in sich gekehrt und vermieden nervös, jemanden anzusehen. Alle schienen darauf bedacht, nicht
mit dem Rücken zur Krankenschwester zu sitzen, die sich
noch immer in der Nische befand, reglos wie eine Schlange. Mir wurde ein Platz neben Fuyuki im Rollstuhl zugewiesen, so dass ich die Gelegenheit hatte, ihn eingehend zu mustern. Seine Nase war so klein, als hätte ein Feuer sie weggefressen, und sein Atem rasselte. Sein Gesicht sah nicht wirklich freundlich aus, wirkte jedoch friedlich und wachsam, wie das eines sehr alten Laubfrosches. Er machte keine Anstalten, mit jemandem zu reden.
Seine Männer saßen schweigend um den Tisch. Ihre Hände
ruhten respektvoll auf der Tischplatte, während sie darauf warteten, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz Fuyukis Drink zubereitete. Er holte ein dickes, in eine weiße Leinenserviette gewickeltes Schnapsglas hervor, das er bis zum Rand mit Single-Malt-Whisky füllte; er schwenkte den Whisky zweimal im Glas herum, kippte ihn in den Eiskübel, wischte das Glas sorgfältig mit der Serviette ab und füllte es von neuem. Dann hob er seine Hand, um die anderen Männer vom Trinken abzuhalten. Es entstand eine kurze Pause, während er das Glas Fuyuki überreichte, der es mit einer zitternden Hand an die Lippen führte und daran nippte. Er senkte das Glas, drückte mit einer Hand auf seinen Bauch, während er die andere vor seinen Mund hielt, um ein Aufstoßen zu verbergen, und nickte dann zufrieden.
»Omaetachi mo yare.« Der Mann mit dem Pferdeschwanz gab mit einer knappen Bewegung seines Kinns das Zeichen, dass die Männer nun trinken durften. »Nonde.«
Das Gefolge entspannte sich. Sie hoben ihre Gläser und tranken. Jemand stand auf und zog sein Jackett aus, ein anderer holte eine Zigarre hervor und schnitt das Ende ab. Nach und nach lockerte sich die Stimmung. Die Hostessen schenkten nach, verteilten Eiswürfel und mixten Drinks mit den »Some Like It Hot«-Cocktailstäbchen, benutzten die kleinen Plastiksilhouetten von Marilyn, um die Eiswürfel im Glas umzurühren. Es dauerte nicht lange, bis alle durcheinander redeten und die Unterhaltung lauter war als an allen anderen Tischen. Binnen einer Stunde waren die Männer betrunken. Der Tisch war mit Flaschen und halb leer gegessenen Schüsseln mit eingelegtem Rettich, Yamswurzel und Hummerchips übersät.
Irina und Svetlana baten Fuyuki um eine Meishi. Das war keine ungewöhnliche Bitte - die meisten Kunden überreichten uns sehr bald, nachdem wir uns gesetzt hatten, ihre Visitenkarten, doch Fuyuki trennte sich nicht so leichtfertig von der seinen. Er runzelte die Stirn, hüstelte und musterte die Russinnen argwöhnisch von oben bis unten. Es brauchte langes, gutes Zureden, bis sie ihn dazu bewegten, in seinen Anzug zu greifen - sein Name stand in Goldfaden gestickt über der Innentasche, wie ich bemerkte, als er seine Hand unter die Jacke schob -, einige Meishi herauszuholen und sie, fächerförmig zwischen seine Finger geklemmt, am Tisch zu verteilen. Er beugte sich zu dem Mann mit dem Pferdeschwanz und flüsterte mit krächzender Stimme: »Sag ihnen, sie sollen mich nicht wie einen dressierten Affen behandeln. Ich will nicht, dass mich jemand anruft und in den Klub einlädt.
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