Tokio
tu ich denn?«
Ich stand wie gelähmt da, meine Beine leicht gespreizt, und starrte ihn an, während er ganz gelassen seine Hände an meinen Waden hinauf-und hinabgleiten ließ, wie ein Stallbursche, der ein Pferd nach Verletzungen abtastet. Er legte die Hände auf meine Knie, ließ sie mit halb geschlossenen Augen ein paar Zentimeter unter dem Saum meines Rocks ruhen, so als wären seine Finger Stethoskope und er würde meine Beine abhorchen. Schweiß bildete sich zwischen meinen Schultern und im Nacken. Jason richtete sich auf, hob meine rechte Hand hoch und fuhr mit seiner Handfläche an meinem Arm entlang, umfasste meinen Ellbogen, strich mit seinem Daumen über die dünne Haut an meinem Handgelenk. Das Prasseln des Regens hallte durchs Haus, hörte sich an wie Hagel. Jason legte seine rechte Hand auf meine Schulter, griff in mein Haar und fuhr mit den Fingern hindurch. Ich konnte meinen Herzschlag spüren. »Bitte ...«
Er schenkte mir ein schiefes Lächeln, entblößte dabei die Kante eines angeschlagenen Zahns. »Du bist sauber«, sagte er.
»Sehr sauber.«
Ich hätte am liebsten die Hände auf meine Augen gelegt, denn kleine Lichtblasen stießen platzend gegen die Netzhaut. Ich sah das Muttermal an seinem Hals und darunter das Pochen seines Pulses.
»Weißt du, wie spät es ist?«, fragte er.
»Nein. Wie spät ist es?«
»Es ist an der Zeit, dass wir es tun.« Er nahm ganz sacht meine Hand, hielt meine Handfläche mit Daumen und Zeigefinger. »Komm schon. Wir werden herausfinden, was du verbirgst.«
Ich presste meine Knie fest zusammen. Meine Haut war unerträglich straff gespannt, so als hätte sich jedes Härchen In seiner Pore aufgerichtet, um ein imaginäres Ich davon abzuhalten, aus mir herauszuschlüpfen und schnurgerade In Jason hineinzufahren. Schweiß rann zwischen meinen Schulterblättern hinab.
»He«, feixte er mit einem spitzbübischen Grinsen, »keine Sorge - nehm meine Hufe ab, bevor's losgeht.«
»Lass los!« Ich entriss ihm meine Hand und wich stolpernd zurück. »Bitte, lass mich in Ruhe.«
Ich sammelte unbeholfen die Bücher ein, lief in mein Zimmer, knallte die Tür zu und lehnte mich im Halbdunkel dagegen. Lange hämmerte mein Herz so laut, dass ich nichts anderes hören konnte.
Um achtzehn Uhr war es bereits dunkel, und das Licht von Mickey Rourke schien durch die Gardinen ins Zimmer. Meine Silhouette im Spiegel war golden umrahmt, während ich zitternd dasaß und der Rauch meiner Zigarette in einer dünnen Fahne aufstieg. Ich hatte seit fast fünf Stunden dort gesessen und nichts getan, außer eine Zigarette nach der anderen geraucht. Und noch immer hatte das Gefühl nicht nachgelassen. Es war ein prickelndes, euphorisches Gefühl, so als würden auf meiner Haut Champagnerblasen zerplatzen. Sobald es nachließ, musste ich nur daran denken, wie Jason sagte: »Wir werden herausfinden, was du verbirgst«, und schon durchströmte mich das Gefühl von neuem.
Doch nun wurde es Zeit, mich für den Klub fertig zu machen. Ich bebte, als ich aufstand, mich auszog, den Kleiderschrank öffnete und die Tüten herausholte. Manchmal erreicht man einen Punkt im Leben, an dem einem nichts anderes übrig bleibt, als die Luft anzuhalten und den Sprung zu wagen.
Ich fand weite Boxershorts aus changierender Seide, mit breiten, gerippten Seidenbändern und einem Einsatz aus Samt, auf dem sich unzählige kleine purpurfarbene Blumen umeinander wanden wie mittelalterliche Psalterilluminationen. Ich schlüpfte hinein und zog sie so weit hoch, dass der Bund über meinem Nabel lag. Dann drehte ich mich um und betrachtete mich im Spiegel. Mein ganzer Unterleib war verhüllt, vom Nabel bis zum Ansatz meiner Oberschenkel. Man konnte nichts sehen.
Am anderen Ende des Hauses brüllten sich die Russinnen an, zankten sich, wie sie es immer taten, wenn sie sich für die Arbeit fertig machten. Ihr Wutgeschrei hallte gedämpft durch den Korridor, doch ich nahm es kaum wahr. Ich schob einen Finger in den Schritt des Slip und zog die Spitze beiseite. Man konnte dort hineingelangen, ohne dass der Slip verrutschte. Man konnte wirklich nicht sehen, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht bestand doch die Möglichkeit, dass das Leben sich änderte, dachte ich. Vielleicht hatte ich mich geirrt, vielleicht konnte ich es doch ändern.
Ich zog mir wie in Trance ein enges schwarzes Samtkleid an, setzte mich auf den Hocker, ließ meinen Kopf herabhängen, wie ich es bei den Russinnen gesehen hatte, und besprühte mein Haar
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