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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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mit Spray. Es war schwer und glänzend, als ich mich wieder aufrichtete, und hob sich tiefschwarz von meiner weißen Haut ab.
    Draußen stritten sich die Russinnen noch immer. Ich tupfte sehr sorgfältig mit einem Taschentuch den überschüssigen Lippenstift ab, nahm eine kleine Lackledertasche, klemmte sie fest unter den Arm, zog Schuhe mit hohen Absätzen an und verließ das Zimmer. Dann stöckelte ich etwas ungelenk den Korridor entlang, Schultern gerade, Kopf hoch erhoben.
    In der Küche brannte Licht. Jason mixte sich einen letzten Martini und trällerte vor sich hin, um den Krach zu übertönen.
    »Blöde Russkis«, sang er, »blöde Russenschnepfen.« Er verstummte, als er mich an der Tür vorbeigehen hörte.
    Ich war bereits ein Stück von der Küche entfernt, als er mir mit lauter Stimme nachrief: »Grey!«
    Ich blieb wie angewurzelt stehen, die Hände zu Fäusten geballt, die Augen zusammengekniffen. Ich wartete, bis mein Atem wieder ruhiger wurde, dann drehte ich mich um. Er stand im Korridor und starrte mich an, als hätte er einen Geist gesehen.
    »Ja?«
    Er sah wie gebannt auf mein Make-up, meine Haare, die glänzenden schwarzen Pumps.
    »Ja?«, wiederholte ich, wohl wissend, dass mein Gesicht rot anlief.
    »Das ist neu«, sagte er schließlich. »Das Kleid. Oder nicht?«
    Ich schwieg, fixierte die Decke, während es in meinem Schädel pochte.
    »Ich wusste es«, sagte er, und es schwang ein faszinierter, selbstgefälliger Unterton in seiner Stimme mit. »Ich hab ja immer gewusst, dass du unter dem Ganzen schlichtweg purer Sex bist.«
    27
    Jason sprach nur selten mit einer von uns dreien, doch an jenem Abend, während des Fußmarsches zum Klub, hörte er
    einfach nicht mehr auf zu reden. »Das hast du für mich angezogen, stimmt's?«, sagte er immer wieder, während er neben mir herging, die Hand unter dem Trageriemen seiner Umhängetasche und eine Zigarette im Mundwinkel. »Das ist für mich, stimmt's? Komm schon - gib's zu.«
    Die Russinnen fanden sein Verhalten lustig, doch ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Die Boxershorts schienen unter dem Kleid hin-und herzurutschen, als würden sie ein Eigenleben führen und Jason mitteilen: Ja, das hat sie - sie hat es für dich angezogen.
    Schließlich gab er auf und legte den Rest des Wegs schweigend zurück, mit einem amüsierten, nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. Als wir in den Kristalllift stiegen, kehrte er uns den Rücken und vergrub die Hände in den Hosentaschen, wippte auf den Fußballen und blickte auf Tokio. Ich starrte auf seinen Hinterkopf und dachte: Meinst du es ernst? Du nimmst mich nicht nur auf den Arm? Bitte, lass dies keine bloße Neckerei sein. Das wäre zu viel...
    Im Klub ging es hoch her - eine Gruppe von Hitachi hatte vier Tische besetzt, und Mama-san war guter Laune. In meinem Samtkleid fiel ich allen auf, als würde ich leuchten, wie die angezündete Laterne einer Geisha in einer Kyoter Gasse. Es war erstaunlich, wie verführerisch Schmeichelei und Sex sein können - erst als die Fuyuki-Gang im Klub auftauchte, wurde mir klar, dass ich den ganzen Abend über nicht ein einziges Mal an Shi Chongmings Heilmittel gedacht hatte. Ich richtete mich erschrocken auf und konnte kaum meine Erregung verbergen.
    Der Tisch war gedeckt. Strawberry scheuchte die Kellner durch den Klub, um verwelkte Blüten aus den Blumenarrangements zu zupfen, frische Handtücher auf der Herrentoilette bereitzulegen und sicherzustellen, dass Fuyukis persönliche Scotchflaschen poliert waren und im Licht funkelten. Ich wurde zusammen mit sechs anderen Hostessen herbeigerufen. Die Gruppe hatte im Ganagori-Speedboat-Stadium in Aichi gespielt, und sie waren bester Laune. Die Krankenschwester hielt sich abseits, saß nicht in der Nische, sondern wartete stattdessen mit übergeschlagenen Beinen auf der Chaiselongue im Foyer. Immer wenn die Aluminiumtür aufging, erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf einen ihrer in Stilettos steckenden Füße und musste an das Tatortfoto denken. Die Bestie von Saitama. Ich erinnerte mich an die beklommene Miene Shi Chongmings, als er das Wort »Ausschmückungen«
    aussprach. Wie skrupellos musste man sein, um einen Mann umzubringen? Wie gut musste man sich in Anatomie auskennen, um seine Eingeweide zu entfernen, ohne außen eine Spur zu hinterlassen? Oder hatte Shi Chongming sich den Teil ausgedacht, um mir Angst zu machen?
    Fuyuki war gesprächig. Er hatte beim Glücksspiel einen großen Gewinn gemacht, und später am Abend

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