Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
würde gern wissen, wie sie nackt aussieht. Ja, ich denke, darum geht es hauptsächlich, ich würde sie gern nackt sehen und ...«
    »Jason.«
    »Mhmm?«
    Ich stützte mich auf meinen Ellbogen und starrte ihn an.
    »Warum schläfst du mit mir?« »Was?«
    »Warum schläfst du mit mir? Es gibt so viele andere da draußen.«
    Er wollte zu einer Antwort ansetzen, ließ es dann aber bleiben, und ich fühlte, wie sich seine Muskeln kaum merklich anspannten. Schließlich setzte er sich auf und tastete nach dem Saum meines Unterhemds. »Zieh das aus ...«
    »Nein. Nein, nicht jetzt. Ich ...«
    »Verflucht noch mal.« Er schubste mich verärgert weg und sprang auf. »Das hier ...« Er angelte eine Zigarette aus seiner Jeans, die auf dem Boden lag, und zündete sie an. »Hör zu«, fuhr er fort und sog den Rauch in seine Lunge.
    »Hör zu ...«, er schüttelte den Kopf und blies den Rauch in die Luft, »... das hier verwandelt sich langsam in die unendliche Geschichte.«
    Ich starrte ihn mit offenem Mund an. »Eine unendliche Geschichte?«
    »Ja - eine unendliche, nie enden wollende Scheißgeschichte.« Er seufzte. »Ich bin geduldig gewesen, aber du ... es zieht sich einfach ewig hin. Es ist echt nicht mehr komisch.«
    Ein seltsames Gefühl stieg in mir auf, ein schreckliches Gefühl, so als würde ich in einem Vakuum im Kreis herumgeschwenkt werden. Alles kam mir plötzlich verzerrt vor. Die Galaxien an der Wand hinter ihm schienen sich zu bewegen - trieben langsam über den Tokioter Himmel, wie Geschmeide aus Licht. Jasons Gesicht sah dunkel und geisterhaft aus. »Aber ich ...« Ich fasste an meine Kehle, um das Schwanken in meiner Stimme zu unterdrücken. »Ich wollte - ich - ich wollte es dir zeigen. Ganz ehrlich. Es ist nur so, dass ich ...«
    Ich stand auf und tastete auf dem Schminktisch nach meinen Zigaretten, stieß dabei Dinge um. Ich fand die Schachtel und zog zitternd eine Zigarette heraus, zündete sie an und stellte mich mit dem Gesicht zur Wand, während ich in hektischen Zügen rauchte und meine Tränen zurückdrängte. Das Ganze wird mir langsam zu dumm. Tu's einfach. Es ist so, wie von einer Klippe zu springen ...Es gibt nur einen Weg herauszufinden, ob man überleben wird.
    Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und drehte mich um. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
    »Nun«, sagte er, »was ist?«
    Ich zog das Unterhemd über den Kopf, ließ es auf den Boden fallen und stellte mich vor ihn, meine Hände über dem Bauch, den Blick starr auf einen Punkt über Jasons Kopf gerichtet. Ich atmete mehrere Male tief durch, während ich mir meinen Körper aus seiner Perspektive vorstellte - blass und mager, von Adern durchzogen.
    »Bitte, versteh doch«, flüsterte ich wie ein Mantra. »Bitte, versteh doch.«
    Und dann ließ ich die Hände sinken.
    Ich weiß nicht, ob ich es war, die den Laut ausstieß, oder Jason, aber jemandem im Zimmer stockte hörbar der Atem. Ich stand da, die Hände neben meinem Körper zu Fäusten geballt, die Augen an die Decke gerichtet, und fühlte mich, als würde mir gleich der Kopf zerspringen. Jason sagte kein Wort, und als ich ihn schließlich ansah, bemerkte ich, dass seine Miene völlig reglos, ja gefasst war und sein Gesichtsausdruck nichts verriet, während er die Narben auf meinem Bauch studierte.
    »Mein Gott«, sagte er schließlich leise, »was ist denn mit dir passiert?« Er stand auf, machte einen Schritt auf mich zu und streckte seine Hände neugierig aus, so als würden die Narben leuchten. Er blieb neben mir stehen und legte die rechte Hand flach auf meinen Bauch.
    Ich schauderte und schloss die Augen.
    »Was, in aller Welt, ist da geschehen?«
    »Ein Baby«, hauchte ich bebend. »Da war mein Baby drin.«
    36
    Inder Klinik hatten sie mir alles über Kondome beigebracht, als es bereits viel, viel zu spät war. In den letzten Monaten, bevor ich entlassen wurde, als Aids in aller Munde war, hatten wir HIV-Aufklärungskurse, und eine der Krankenschwestern, ein junges Ding namens Emma mit einem Nasenring und strammen Waden, saß vor uns und lief krebsrot an, während sie uns zeigte, wie man einer Banane ein Kondom überstreifte. Ein Präservativ, sagte sie, weil die Zeitungen es in jenen Tagen so nannten. Und wenn sie über Analsex redete, nannte sie es
    »Rektalsex«. Dabei hielt sie ihr Gesicht immer zum Fenster gewandt, so als würde sie zuden Bäumen sprechen. Die anderen lachten und rissen Witze, aber ich saß ganz hinten in der Gruppe, mit genauso rotem Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher