Tolle Maenner
klar, dass sie bereits ziemlich wütend sein musste. Er sah das Post-it-Spektakel, wirbelte aber herum, ohne die Zettel zu lesen, und rannte die Treppe hinunter.
Am Fuß der Treppe angelangt, schnappte er sich sein Fahrrad, verfluchte sich dafür, dass er kein Auto hatte, und bugsierte das Rad wieder in den Regen hinaus.
Allmählich hasste er alles an sich und seinem Leben. Warum war er ausgerechnet in Seattle zur Welt gekommen, warum lebte er immer noch hier – in einer Stadt, in der es ständig schüttete? Und warum war er nur so stur? Wieso hatte er sich nie ein Auto zugelegt? Alle erwachsenen Menschen hatten ein Auto. Und wie hatte er nur so dämlich sein können, seine Verabredung mit Tracie zu vergessen?
Irgendwie hatte er Tracie immer als eine Art Waise und sich selbst als ihre Ersatzfamilie betrachtet. Ihre Mutter war tot, ihr Vater so gut wie. Sie hatte auf ihn gewartet, während er neben einer nackten Fremden im Bett gelegen hatte. In all den Jahren und mit all den Lovern, die sie gehabt hatte, hatte Tracie ihre sonntägliche Verabredung nie – auch nicht ein einziges Mal – ausfallen lassen. Was sollte er nur tun, wenn sie nicht nach Hause gegangen war? War sie vielleicht bei Phil? Und wo wohnte Phil überhaupt? Er konnte sich nicht an seine Adresse erinnern, falls er sie überhaupt je gekannt hatte.
Der Regen rann ihm über das Gesicht und tropfte von seinem
Kinn auf seine Brust. Es goss nun in Strömen, und er sah noch weniger als zuvor. Er war nur noch einen Block von ihrem Haus entfernt. Er trat noch kräftiger in die Pedale, als er plötzlich wenige Meter vor sich die Bremslichter eines Autos sah. Er machte einen Schlenker, um ihm auszuweichen, da er erkannte, dass es wegen des starken Regens an den Straßenrand gelenkt worden war. Das war knapp, dachte er noch. Ich sollte lieber etwas vorsichtiger fahren. Er konnte es sich nicht leisten, nicht bis zu Tracies Wohnung zu kommen.
Gerade als er um die Ecke von Tracies Straße bog, sah er, wie ihr Wagen in den Parkplatz fuhr und sie ausstieg. Er ließ sein Rad los, das daraufhin in einer Pfütze landete, aber das war ihm egal. Er rannte auf sie zu und schrie: »Tracie! Tracie!«, aber entweder hörte sie ihn nicht, oder sie ignorierte ihn ganz bewusst.
36. Kapitel
Obwohl Tracie ins Haus gerannt war, war sie völlig durchnässt. Jetzt fröstelte sie, als sie vor der Tür stand und mit ihren Schlüsseln hantierte. Sie musste sich beeilen. Sie hatte gehört, wie Jon nach ihr rief, und ihn aus den Augenwinkeln gesehen, als sie ins Treppenhaus gerannt war, aber so wollte sie nicht mit ihm sprechen – wenn überhaupt jemals wieder. Sie wollte einfach nur in ihre Wohnung, die Tür hinter sich abschließen, sich ins Bett verkriechen und nie mehr aufstehen. Aber ihre Hände zitterten, und Jon trat aus dem Aufzug, bevor sie die Tür öffnen konnte.
»Tracie«, sagte er, aber sie ignorierte ihn und versuchte weiter, die Tür aufzuschließen. Jon ging auf sie zu. Er war noch nasser als sie, aber sie wollte sich nicht umdrehen – nicht einmal, als sie seine Brust an ihrem Rücken spürte. Er griff nach ihrer Hand, aber sie schlug ihn weg. Wie konnte er es wagen, sie anzurühren?
Endlich ging die Tür auf, und sie versuchte, hineinzuschlüpfen und ihn auf dem Flur stehen zu lassen, aber er war zu schnell für sie und bekam noch seine Schulter in die Tür. »Geh weg«, sagte Tracie, ihr vom Weinen verquollenes Gesicht noch immer abgewandt. »Hau ab!«
»Tracie, du hast ja allen Grund, auf mich sauer zu sein, aber du musst -«
»Gar nichts muss ich«, sagte Tracie.
»Aber ich -«
Sie drehte sich zu ihm um. Sollte er ruhig sehen, wie furchtbar sie aussah. Schließlich bedeutete er ihr nichts. »Hat man dir wieder mal den Blinddarm rausgenommen?«, fragte sie ihn, so giftig sie konnte. »Das wäre die einzige Entschuldigung, die ich akzeptieren könnte.«
»Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?«, fragte er.
»Nein«, sagte sie und versuchte, die Tür zu schließen, obwohl seine Schulter noch in ihr steckte.
»Aua!« Er zog die Luft durch die Zähne ein und stieß die Tür auf.
»Komm bloß nicht hier rein«, warnte sie ihn. »Du bist hier nicht willkommen.« Sie sah sich um. Wo waren Laura und Phil, wenn man sie brauchte? »Du hast mir wehgetan – verdammt wehgetan«, sagte Tracie.
»Das tut mir Leid. Das habe ich nicht gewollt«, sagte Jon in dem Versuch, sie zu trösten.
»Wer war bei dir?«, fragte sie. »Beth? Vielleicht ein
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