Tolle Maenner
es sich in den Mund. Dann beugte er sich vor. »Merk dir eins, mein Sohn«, sagte er. »Es gibt nicht eine Frau auf der Welt, die einer Lüge, an die sie glauben will, nicht auf den Leim geht.«
Jon riss die Augen auf. Er war einfach fertig. Wochen endloser Arbeit am Cliffhanger-Projekt und die miesen Nächte vom Freitag und Samstag, übertroffen nur noch von diesem verdammten Sonntag, hatten ihn nervös gemacht. Er schaute auf die Uhr: 22:31. Wenn er sich bloß aus dem Sitzsack aufraffen könnte, dann könnte er wenigstens noch eine gute Stunde Arbeit einschieben, bevor er sich mit Tracie traf und mit ihr durchging, was für ein beschissenes Wochenende sie beide gehabt hatten. Auch wenn Jon eine ganze Armee von Müttern hatte unterhalten müssen, wollte er doch an diesem Wochenende Tracie gegenüber besonders aufmerksam sein. Ohne Mutter war der Tag für sie doppelt hart. Ganz zu schweigen von ihrem Feiertagsartikel. Mein Gott! Er hatte den Artikel völlig vergessen! Sie hatte ihm den Entwurf per E-Mail geschickt, und er war wirklich gut, aber man konnte ja nie wissen, wie er nach der Veröffentlichung in der Times aussehen würde. Er war den ganzen Tag über so beschäftigt gewesen, dass er nicht einmal die Zeit gehabt hatte, sich die Zeitung zu besorgen und den Artikel zu lesen. Er nahm sich vor, es auf seinem Weg zum Java, The Hut noch zu tun.
Eigentlich war die Arbeit der einzige Bereich seines Lebens, den er unter Kontrolle hatte. Im Gegensatz zu Tracie war er beruflich sehr erfolgreich, und er mochte und respektierte seine Vorgesetzte – eine tolle Frau, die beim Aufbau von UniKorn dabei gewesen war. Bella war großartig, seine ganze Truppe war großartig, sein Job war großartig und sein Gehalt ebenfalls. Jetzt hatte man ihm auch noch die Leitung des Parsifal-Projekts übertragen, und wenn er das schaffte, waren seine beruflichen Aussichten fast unbegrenzt. Und er konnte es schaffen. Parsifal war der Codename des Projekts, für das Jon sich stark gemacht hatte, seit er vor fast sechs Jahren zu Micro/Con gekommen war. Er versuchte, eine konvergente drahtlose Technologie für eine Kombination aus Laptop, Fernseher und Telefon zu entwickeln – ein so fortschrittliches Produkt, dass seine rechte Abteilung nicht wissen durfte, was die linke gerade tat. Von diesem Projekt hing seine gesamte Karriere ab, und es nahm jede freie Minute in Anspruch.
Aber wenn Parsifal erst einmal funktionierte, würde kein Mensch jemals mehr einen Fernseher oder ein Telefon von Panasonic kaufen.
Nur war ihm leider in den vergangenen drei oder vier Jahren absolut keine Zeit für sein Privatleben geblieben, und das war … nun, es war jedenfalls alles andere als großartig. Wieder musste er an den schlimmen Freitagabend denken, dem ein noch schlimmerer Samstagabend gefolgt war, und er verzog das Gesicht. Vielleicht lag er ja vollkommen falsch mit seiner Erklärung. Er begründete sein mieses Privatleben gern mit seinem Zeit raubenden Job, aber vielleicht arbeitete er ja auch deswegen die ganze Zeit, weil das einfacher war als auszugehen. Und wenn er es, wie an diesem Wochenende, trotzdem einmal versuchte, kam nichts Gutes dabei heraus.
Jon stöhnte laut auf und sank noch tiefer in seinen Sitzsack, der sich genau im richtigen Winkel an ihn schmiegte. Er hatte keine Lust mehr nachzudenken, und er wollte auch nicht mehr wissen, wie viele dringende E-Mails er in den letzten vierundzwanzig Stunden bekommen hatte, während er bei den Frauen versagt und sich um seine Mütter – Stief und leibliche – gekümmert hatte. Berge von Arbeit lagen vor ihm. Jon stieß einen tiefen Seufzer aus. Jeder einzelne seiner Mitarbeiter ging davon aus, dass sein jeweiliges Problem das schwierigste von allen und ohne Jons Hilfe oder Jons Lob unmöglich zu lösen war. Er seufzte noch einmal. Er liebte seine Arbeit, und jetzt wollte er seine E-Mails durchsehen, eine halbe Stunde lang. Dann hatte er am nächsten Morgen schon eine Sache weniger zu tun. Aber um halb zwölf würde er auf jeden Fall gehen. Das Treffen mit Tracie war für ihn der Höhepunkt der ganzen Woche.
6. Kapitel
Java, The Hut war nur einer der sechshundertsiebenundvierzig Coffee-Shops von Seattle, aber für Jon war er anders als alle anderen. Er steckte voller Erinnerungen an Hunderte gemeinsamer sonntagmitternächtlicher »Frühstückstreffs«, die er und Tracie dort verbracht hatten – einundfünfzigmal im Jahr, und das sieben Jahre lang. Von dem Tag an, als sie sich im
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