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Tolle Maenner

Tolle Maenner

Titel: Tolle Maenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivia Goldsmith
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verbuchen. Eine Minute später aber fiel ihm auf, dass nirgendwo eine Kasse zu entdecken war. Was war das denn? Zu seinem Entsetzen sah er, wie der Typ ganz vorne in der Schlange ein Seil hochwarf und begann, den Felsen hochzuklettern, während gleichzeitig mehrere andere sich von oben abseilten.
    »Ist das nicht die Schlange für die Kasse?«
    »Nein, die Leute stehen zum Testen an. Ich probiere meine Ausrüstung immer erst aus, bevor ich sie kaufe. Sie nicht?«, fragte Ruth.
    »Immer wenn ich hier was kaufe«, erklärte Jon zum ersten Mal wahrheitsgemäß. Seine Mutter hatte ihm eingeimpft, nicht zu lügen. Wie zum Teufel konnte mir das passieren?, fragte er sich, während er entsetzt die Leute im vorderen Teil der Warteschlange betrachtete. Einer nach dem anderen gingen sie fröhlich und wie selbstverständlich die Felswand an, als wäre das nicht selbstmörderisch. Er drehte sich wieder zu Ruth um, deren Lippen sich zu bewegen schienen.
    »Haben Sie was gesagt?«, fragte er.
    Zwei weitere Leute warfen ihre Seile hoch. Er hörte sein Herz gegen seinen Brustkorb hämmern. Er sah sich nach Tracie um. Das muss einfach ein Scherz sein, dachte er, als er und Ruth sich dem Tresen näherten. Jon überkam Panik. Er hatte doch so schreckliche Höhenangst. »Ich muss das Seil nicht unbedingt testen«, sagte er so lässig wie möglich.
    »Nein, das Seil natürlich nicht, aber den Karabinerhaken wollen Sie doch sicher ausprobieren.«
    Ein Berater vom REI trat zu Jon. »Haben Sie Erfahrung?«
    Noch bevor er etwas sagen konnte, kam Ruth ihm zuvor. »Er kennt sich aus«, versicherte sie dem Typen.
    »Dann können Sie Ihren Knoten ja selber binden«, sagte der Mann zu Jon.
    Ja, und zwar um meinen Hals, dachte Jon. Oder um Tracies. Jon blickte nach links und rechts, ob sich irgendwo ein Fluchtweg auftat. Die Leute, die herumstanden und zuschauten, sahen allesamt aus wie Verwandte der Madame Defarge an der Guillotine. Als er Tracie unter ihnen entdeckte, wurde ihm ganz übel. Er warf ihr einen verzweifelten Blick zu, aber sie zuckte nur mit den Achseln. Dann schaute er Ruth an, dachte an ihre cremeweiße Haut, holte einmal tief Luft und warf das Seil hoch.
    »Sind Sie sicher, dass Sie eine so schwierige Route nehmen wollen?
«, fragte Ruth. Jon schüttelte den Kopf, ergriff das Seil und begann zu klettern. Alle anderen nahmen die Wand flink wie Klammeraffen; Jon dagegen kam etwa so schnell vorwärts wie ein Lavastrom, kurz vor dem Erkalten. »Keine Sorge, ich sichere Sie«, rief Ruth ihm zu. Plötzlich hasste Jon sie von ganzem Herzen. Er hatte ja nicht wissen können, dass er auf eine wahnsinnige Sadistin hereingefallen war, die ihm nach dem Leben trachtete.
    »Oh, ich mache mir keine Sorgen«, rief er zurück und zwang sich, zwei oder drei Felsvorsprünge höher zu steigen. Er war jetzt fast zwei Meter über dem Boden. Als er über die Schulter schaute, packte ihn ein solches Entsetzen, dass seine Hände zu zittern begannen und er fast abgestürzt wäre. Um das zu verhindern, arbeitete er sich mit hektischen Bewegungen weiter nach oben. Es gab keine Stelle, an der er sich hätte ausruhen können, keine Fläche, die nicht senkrecht gewesen wäre. Schließlich erreichte er einen Vorsprung rund sechs Meter über der gaffenden Menschenmenge und hielt sich verzweifelt daran fest. Er klebte auf dem Felsen wie eine Flechte.
    Der REI-Experte zog ein Megafon heraus und rief zu ihm hoch: »Alles in Ordnung mit Ihnen?« Jeder in dem riesigen Markt starrte zu ihm hinauf. Die Menge wuchs immer mehr an. So also sahen die Leute aus, wenn man sie von der Decke des Luftfahrtmuseums betrachtete. Er sah zu, wie Tracie sich in der Menschenansammlung unter ihm in die vorderste Reihe drängte. Jon sah sie, doch statt ihm mit Zurufen Mut zu machen, schoss sie gleich reihenweise Fotos von ihm! Wie lange man jemanden auch kennt, dachte er mit einem gewissen Maß an innerer Distanz, man kann doch nie vorhersagen, wie er reagiert. In seiner Situation empfand er ihr Verhalten zwar nicht gerade als hilfreich, aber es störte ihn auch nicht sonderlich, weil sein letztes Stündlein ohnehin geschlagen hatte. »Antworten Sie mir bitte«, rief der Typ mit dem Megafon ihm zu. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
    Jon wusste nur, dass er unmöglich mit dem Kopf nicken oder gar die Lippen bewegen konnte.

    »Ein Klammerer! Wir haben einen Klammerer! Alle anderen Kletterer bitte absteigen«, bellte der Mann mit der Flüstertüte.
    Eine Sirene heulte auf, und von

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