Tolle Maenner
nachdenken würdest?«, fragte Tracie munter.
»Ein Motorrad? Ich hab dir doch erklärt, dass ich damit nur mich und andere in Gefahr bringen würde.«
»Aber es ist einfach cool«, sagte Tracie und fiel vor Begeisterung fast vom Hocker. »Und die Mädels sind ganz scharf auf Jungs, die Motorrad fahren.«
»Und wie scharf sind sie auf Jungs, bei denen die eine Gesichtshälfte vom Asphalt weggeschürft worden ist?«, fauchte er.
»Ganz ruhig!«, warnte Stefan.
»Darüber unterhalten wir uns später«, beschloss Tracie.
»Das werden wir nicht«, antwortete Jon angesäuert, bevor er herumgewirbelt wurde und Stefan in die Augen sah. Im Rasiermesser des Friseurs blitzte das Licht auf, und einen Augenblick lang dachte Jon schon, Stefan wolle es wie Sweeney Todd schwingen, der dämonische Barbier von Fleet Street aus dem gleichnamigen Horror-Musical, doch dieser Irre hielt ihm nur einen Spiegel hin.
Jon schaute hinein. O Gott! Er sah aus wie ein Igel. Seine Haare standen hoch wie Stacheln. Der dämonische Barbier hätte
mich besser gleich umgebracht, dachte er und legte schützend die Hände über den Schädel. Stefan fegte die letzten Haarschnipsel von Jons runderneuertem Kopf.
»Unglaublich«, sagte Tracie.
»Totale Transformation«, erwiderte Stefan selbstzufrieden. Aber Jon war derjenige, der transformiert worden war – in was eigentlich?
Er starrte weiter unverwandt sein Spiegelbild an. Im Spiegel sah er, wie hinter ihm Tracie Stefan umarmte. Dann tanzte sie ausgelassen und voller Begeisterung um seinen Stuhl. Nun, sie war seine Freundin. Wahrscheinlich mochte sie Igel. »Fantastisch«, krähte sie und zog ihn aus dem Stuhl. Vielleicht war es doch gar nicht so schlimm, wie er dachte. Dann zog Tracie ihm im Vorbeigehen die Brieftasche aus der Hose und reichte Stefan seine Kreditkarte.
»Das ist garantiert das Beste, was du je für zweihundert Dollar bekommen hast«, versicherte sie ihm
»Zweihundert Dollar!« Jon blieb die Spucke weg. Dann sah er Stefan mit seinem Rasiermesser an und schluckte. Immer noch besser, als abgemurkst zu werden, wenn auch nicht unbedingt billiger.
20. Kapitel
Tracie bog in die Einfahrt des Parkplatzes ein. Jon hatte sie die ganze Strecke über mit Fragen gelöchert, aber sie hatte keine einzige beantwortet.
Tracie ignorierte Jon weiter, bog rechts ab, vergaß, dabei den Blinker zu setzen, worauf beinahe ein Saab auf sie aufgefahren wäre. Ansonsten hatten sie keine Unannehmlichkeiten. »Auf geht’s.« Jon stieg aus und stolperte über den Randstein, als er das Schild über der Tür las.
»O mein Gott! Bitte nicht hier!«, flehte er.
Das REI war ein berühmtes Wahrzeichen am Stadtrand von Seattle, unweit der Interstate 5. Es war vermutlich der größte Outdoor-Ausrüster der Welt, ein Treffpunkt für sportbegeisterte Naturfreunde. Seine ausgefallene Architektur und das riesige Schaufenster zogen alle Blicke auf sich. Von der Tür aus sah Jon reihenweise Regale mit Bergsteigerausrüstung, zwischen denen sich Hunderte attraktiver junger Männer und Frauen tummelten.
»Versuch dir ein ganz normales Mädel rauszupicken«, erinnerte Tracie ihn noch einmal. »Eine von denen da.« Sie zeigte auf eine ganze Schar von ihnen, alle schlank und sportlich und vollkommen, mit strahlenden Zähnen, glänzendem Haar und schimmernder Haut. Jon hatte das Gefühl, immer kleiner und hässlicher zu werden, ein Schandfleck in der Landschaft.
Tracie gab ihm einen kleinen Schubs. »Stell dich in ihre Nähe, aber geh nicht auf sie zu. Du musst so tun, als wärst du schwer zu kriegen. Du musst sie dazu bringen, dass sie scharf auf dich sind«, erklärte Tracie. Dann hob sie die Hand. Sie waren am Ende eines Gangs angekommen, und vor ihnen lag eine riesige
Felswand, mindestens sechs Stockwerke hoch und mit Glas umbaut. Kletterer hingen in der beinahe senkrechten Wand, sichtbar sowohl für die Besucher des Einkaufszentrums als auch für den vorbeifahrenden Verkehr.
»Ach du Scheiße!«, stieß Jon aus. Er war nicht schwindelfrei. Er hatte ihr einmal gebeichtet, dass er sogar Angst davor hatte, aus hoch gelegenen Fenstern zu schauen, weil er dabei immer das Bedürfnis verspürte hinauszuspringen.
»Jetzt geht’s ans Eingemachte. Du siehst zwar schon aus wie ein harter Knochen, aber du musst dich auch wie einer benehmen .«
»Und wie? Indem ich mich von einer Felswand hängen lasse? Vergiss es!«
Sie hatte gewusst, dass er versuchen würde zu kneifen, war aber darauf vorbereitet. »Komm schon,
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