Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
und zu aufsuchte und sich vergewisserte, dass der Schatz kein Traum war. Sie gähnte. Aber nicht heute, dafür war sie entschieden zu müde.
Ihre Gedanken gingen zu dem gerade Gehörten zurück.
»Eigenartiges Gespräch«, murmelte sie.
Etwas Kleines huschte an ihr vorbei. Eine Maus.
Kate rieb sich die juckenden Augenlider.
Mitten in der Nacht sollte sie schlafen und nicht durch uralte Geheimgänge schleichen und harmlose Tiere aufscheuchen.
Zurück in ihrem Zimmer streifte sie die Schuhe ab, klopfte ihre Kleidung aus und wickelte sich in die Decken. Die Füße fühlten sich eisig an, kaum spürte sie die Fußsohlen. Zu schade, dass sie keinen heißen Ziegelstein hatte. Sie schloss die Augen und überlegte. Madame hatte sie mit dem Hündchen gemeint, soweit klar. Die Frau war ein gemeines Luder. Was aber bedeutete der Rest, und wer waren die anderen Leute, von denen sie gesprochen hatte? Bruce Attenburg mochte der Mann gewesen sein, den Kate bei ihr angetroffen hatte, doch wer waren der erwähnte Baron und Lord Standfort? Und was hatte Madames Patenkind mit allem zu tun und wieso brauchte Madame eine gesunde Kate? So viele Fragen. Kate gähnte ausgiebig. Das Nachdenken fiel ihr schwer.
Dann das Reden über ihre Unschuld. Plante Madame, sie zu verheiraten? Niemand konnte sie zu einer Hochzeit zwingen, oder? Beruhigend, wie Gustav sofort gegen ihre Ermordung protestiert hatte, auch wenn Madame ihn nur hatte foppen wollen. Hoffentlich.
Er nannte Madame immer Audra, sobald er mit ihr allein war, und benahm sich wie ihresgleichen und nicht länger wie ihr Hausverwalter. Unvorstellbar, dass er und sie ein Liebespaar waren, geradezu gruselig.
In dieser Nacht träumte sie von den Gängen, die unter den Häusern lagen. Davon, wie sie in einem rannte, von oben bis unten durchnässt vom Schmutzwasser, das an ihr hochspritzte. Sie hoffte verzweifelt, auf ein Loch oder eine Spalte zu stoßen. Eine Lücke, durch die sie sich zwängen konnte, um dem Klauenmonster zu entkommen, das sie verfolgte, und dessen Schreie ihr in den Ohren gellten.
6. Planungen
Am nächsten Morgen ging Kate mit leicht mulmigem Gefühl zum Frühstück. Die Köchin hielt sich in der Küche auf, also blieb ihr nichts übrig, als den Becher mit der bereits geronnenen Milch zu leeren. Sie trank das Zeug in großen Schlucken und stellte sich vor, es Gustav in den Schlund zu kippen.
Mit keiner Silbe erwähnte die Köchin die verschwundene Wurst oder die Pasteten, beobachtete sie nur mit Argusaugen, als würde sie auf einen Fehler hoffen.
Im Labor wartete Kate vergeblich auf Gustav. Damit er sie nicht der Faulheit beschuldigen konnte, verpackte sie erst den Giftweizen und las danach in dem neuen Buch, das er sie durcharbeiten ließ. Er erwartete, dass sie später den Inhalt fehlerlos wiedergeben konnte.
Das letzte, ein dicker Wälzer über Anatomie, hatte ihr Dinge erklärt, über die sie bereits grübelte, seit sie vor einem halben Jahr ihre Monatsblutungen bekommen hatte: das Geheimnis der körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Damals hatte er ihr nur ein Traktat in die Hand gedrückt, in dem mit vielen Worten erklärte wurde, dass die Regel ein speziell weibliches Übel sei, dem man nur durch Schwangerschaft entkam.
Alle weiteren Fragen dazu hatte Gustav mit Schweigen und eisiger Miene kommentiert, obgleich er ihr regelmäßig saubere Stoffbinden aufs Bett legen ließ.
Bei seiner letzten Fleißkontrolle hatte er dementsprechend auch den Abschnitt über Geschlechtsorgane komplett übersprungen. Vermutlich fand er dieses Thema genauso peinlich wie sie.
Nun quälte sie sich also durch
Erbauliche Sprüche zur
Ertüchtigung des weiblichen Verstandes
.
Der Autor, ein gewisser Archibald Meyer, vertrat die Meinung, Frauen seien nicht fähig, eigenständig zu denken. Für kompliziertere Arbeiten müsse man sie daher anleiten und könne nicht erwarten, dass sie jemals die geistige Reife eines Mannes erreichten.
Fast war sie froh, als Gustav doch noch kam und ihr die knappe Anweisung gab, zum Essen zu gehen und danach das Labor zu putzen. Er sah noch blasser aus als sonst und bewegte sich vorsichtig, als falle ihm jede Bewegung schwer. Die Winterkälte setzte seinen Gelenken zu und die Schmerzen machten ihn ungeduldig und kurz angebunden.
Kate klappte das Buch zu und ging in die Küche.
Auf dem Blechteller auf der Anrichte lagen eine dicke Scheibe Brot, ein Stück Leber und Steckrüben. Die Mahlzeit wartete schon länger auf sie, denn
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