Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)

Titel: Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. G. Stoll
Vom Netzwerk:
hatte sie nie zuvor an ihm gesehen.
    Schnell biss sie sich auf die Zunge. Trotz aller Bemühungen, sich wie ein vornehmer Herr zu kleiden, ging er eher für einen gerupften Geier durch.
    Es klopfte. Mit gesenktem Kopf teilte das Hausmädchen mit, ein Wagen stünde vor der Haustür, um den Herrn Hausverwalter abzuholen. Kate sah die junge Frau zum ersten Mal, demnach hatte Gustav ihrer Vorgängerin gekündigt. Ohne Kate einen weiteren Blick zu schenken, verließ er den Raum.
    Wenig später stand Kate in der Küche und aß ihr Mittagessen.
    Das neue Mädchen zerteilte gemeinsam mit der Küchenhilfe einen Schweinekopf. Kate musterte sie. Sie mochte höchstens sechzehn sein, mit roten Wangen, einem breiten Mund und Sommersprossen, was sie keck und freundlich aussehen ließ. Mit etwas Glück würde sie sich mit ihr unterhalten können.
    Die Neue flüsterte ihrer Kollegin zu: »Sobald ich den Herrn sehe, stellen sich mir die Nackenhaare auf, sage ich dir. Dem seine Augen, als glotzt er mir in den Kopf. Ein unheimlicher Kerl.«
    Die Angesprochene blickte kurz um sich. Als sie sah, dass die Köchin in der anderen Ecke der Küche hantierte, antwortete sie genauso leise: »Warte ab, bis du erst Madame kennenlernst. Die ernährt sich überwiegend von Opium und Männern. In der Reihenfolge. Glubschauge frisst ihr aus der Hand.«
    Beide pressten die blutverschmierten Handrücken vor die Münder, um sich nicht durch Kichern zu verraten.
    Sobald die Erste sich beruhigt hatte, deutete sie mit dem Schlachtmesser völlig ungeniert auf Kate und fragte: »Und die da? Keine von uns, aber auch keine von denen, wenn die hier essen tut?«
    »Aus dem Armenhaus. Die arbeitet für Glubschauge. Gewöhn dir bloß das viele Fragen ab!«, kam die Antwort. »Oder willste etwa von den Schlammtauchern ausm Fluss gefischt werden? Ein Stück Eisen um den Hals und aufgebläht wie ein fettes Schwein. So hamse eine gefunden, die auch darüber rumgefragt hat, was sie nichts anging. Glubschauge hat sie erst rausgeworfen und dann warse tot.«
    Kate fühlte sich wie mit kaltem Wasser übergossen. Nur mit Mühe würgte sie die letzten Bissen hinunter und beeilte sich, den Raum zu verlassen. War tatsächlich eines der Mädchen getötet worden, weil es sich nach Madames Geheimnissen erkundigt hatte?
    Schlammtaucher waren Kinder und Jugendliche, die im Flussbett nach alten Knochen und Metallresten suchten, soviel war ihr bekannt. Ab und an fanden sie dabei den verwesenden Kadaver eines heimlich geborenen Babys oder eines Selbstmörders. Doch eine junge Frau so verschwinden zu lassen? Unvorstellbar.
    Bestimmt hatte die Küchenhilfe sich die Geschichte nur ausgedacht.
    Kate eilte die Treppenstufen hoch ins Labor und begann, Zäpfchen mit Tollkirschen- und Stechapfelextrakt herzustellen. Gustav verlangte schon wieder sechzig Stück davon. Eine Arznei, die er häufig an Apotheken verkaufte.
    Gelangweilt schmolz sie das Fett, rührte die Tinkturen ein und füllte die Mischung in die einzige Holzform ein. Sie verstand nicht, warum Gustav nicht längst zusätzliche Formen gekauft hatte. Sein Geiz bedeutete, dass sie nur sechs Zäpfchen auf einmal machen konnte. Da sie darauf achten musste, dass sie völlig abgekühlt und ausgehärtet waren, zog sich alles endlos hin. Sie überlegte, für die Wartezeiten zwischendurch ein Buch aus der Bücherei zu holen.
    Passte sie auf, würde das neue Hausmädchen sie weder sehen noch hören.

8. Lady Ballingham
    Wenig später war Kate im Labor zurück und blätterte in dem Band über die Kanalisation.
    Weiter hinten gab es eine Zeichnung, die veranschaulichte, wie die Abwasserkanäle untereinander verbunden waren. Kleine Markierungen zeigten zusätzliche Einstiegsschächte, die an öffentlich zugänglichen Stellen wie Straßen und Plätzen lagen.
    Kates Bewunderung für die Planer und Erbauer wuchs noch mehr, als sie begriff, wie umfassend das unterirdische Netz die Stadt durchzog. Demnach konnte man von einer Seite zur anderen gelangen, ohne einen Schritt an die Oberfläche zu tun.
    Fand sie den Hauszugang, ergab sich durch Gustavs Abwesenheit morgen einen ganzen Tag lang die Gelegenheit, sich alles vor Ort anzusehen. Von der Köchin und ihren Untergebenen ging keine Gefahr aus, denn sie suchten so gut wie nie den Keller auf. Der Hausmeister interessierte sich für nichts, was nicht unmittelbar mit seiner Arbeit zu tun hatte.
    Je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr der Gedanke an eine Expedition in die Tiefe. Nur

Weitere Kostenlose Bücher