Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
Beginn fanden ihr Finger nur mit Mühe die richtigen Tasten. Jeder Tippfehler ließ sie stöhnen. Bei seiner schlechten Laune bestrafte Gustav sie bestimmt für die winzigste Verfehlung und dazu gehörten verschwendete Seiten allemal.
Gustav kam mittags und kontrollierte ihre Arbeit, die Lippen gekräuselt, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Die vertippten Blätter lagen ganz unten, doch verrieten die hochgezogenen Augenbrauen, dass er sie sehr wohl bemerkt hatte. Kate schluckte gegen die Furcht an. Als er den Mund öffnete, erwartete sie das Schlimmste.
»Räume auf und geh dann Essen. Ich erwarte dich danach in der Bibliothek«, sagte er nur und ließ sie allein.
Sie zog die Hülle über die Schreibmaschine. Ihr kam ein Gedanke, den sie lieber ignoriert hätte. Gustav ging nicht ohne Hintergedanken so gnädig mit ihr um, dafür kannte sie ihn zu gut. Eventuell plante Madame kurzfristig einen Versuch mit ihr und kam deshalb vorbei. Kate zwang sich, mit dem Grübeln aufzuhören. Die Zeit in diesem Haus hatte sie gelehrt, dass Dinge geschahen, gegen die sie sich nicht zu wehren vermochte.
Kurz erlaubte sie sich, an den gestrigen Tag zu denken; wie wunderbar und aufregend sich Freiheit anfühlte. Wenige Jahre noch und niemand würde sie je wieder einsperren, ihr Befehle geben, sie drangsalieren oder mit Krankheiten quälen. Madame und Gustav blieben dann nur düstere Erinnerungen an einen Albtraum.
Nach dem Essen ließ Gustav sie in der Bibliothek einen Artikel über chemische Elemente durchlesen. Dabei erinnerte sie sich an das eigenartige Verhalten ihrer neuen Freunde, als sie von ihrer Apothekenarbeit gesprochen hatte. Ihr Misstrauen. Als glaubten sie ihr nicht.
»Master Gustav«, entfuhr ihr, »können nur Männer wissenschaftlich arbeiten? Oder Medikamente herstellen?«
Er blickte von dem Buch auf, in das er vertieft war, und blies die Wangen auf.
»Zumindest halte ich Frauen für intelligent genug, Männern zur Hand zu gehen«, antwortete er schließlich. »Einige wenige dürften dem logischeren Geschlecht fast ebenbürtig sein.«
Er verzog den Mund und setzte hinzu: »Was offensichtlich nicht für dich gilt. Nun drücke dich nicht länger und bemühe dich, den Text zu begreifen.«
Kate senkte den Kopf und überflog die Seite. Den Inhalt verstand sie ohne Probleme. Sobald sie sicher war, dass Gustav sie nicht beobachtete, blätterte sie weiter. Sie suchte nach Artikeln, die sie mehr interessierten.
Eine Zeichnung ließ sie innehalten. Der Schreiber überschüttete den Erbauer des vorgestellten kleinen Flugschiffes mit Häme, stellte wiederholt fest, wie unsinnig ein Fluggerät für den Privatgebrauch sei. Kate fand das nicht und hätte dem jungen Konstrukteur das zu gern mitgeteilt.
Wie angekündigt erschien Madame an diesem Abend im Haus und was Kate befürchtet hatte, traf ein. Ihre Herrin rief sie zu sich in ihr Ankleidezimmer. Kate blieb nichts übrig, als sich sofort auf den Weg zu machen.
Madame räkelte sich im Sessel. Ihre Finger spielten mit einem Fächer, klappten ihn auf und zu. Ohne ein Wort an sie zu verschwenden, deutete sie auf die Pillen vor sich auf einem Tellerchen. Kate steckte sie in den Mund, griff sich das danebenstehende Glas Wasser und nahm einen Schluck. Sich zu wehren hatte sie längst aufgegeben.
Madame bedachte sie mit einem bösen Lächeln und gab ihr mit einer Bewegung ihres Fächers zu verstehen, dass sie noch nicht entlassen war. Allem ausgeliefert stand Kate da, wartete, bis das Gift zu wirken begann. Unterdessen nippte ihre Herrin an ihrem Wein und las in einem Buch. Nur ab und zu warf sie einen flüchtigen Blick zu ihr hinüber.
Zuerst kroch eine innere Kälte in Kate hoch, dann kamen Übelkeit und Bauchkrämpfe hinzu.
»Madame, bitte ...«, mehr brachte sie nicht heraus, musste die Hand vor den Mund pressen. Endlich durfte sie aus dem Raum rennen. Nur knapp schaffte sie es bis zum Abort im selben Stockwerk. Dort kauerte sie über dem stinkenden Loch und erbrach sich.
Als die schlimmsten Krämpfe nachließen, zitterte sie am ganzen Körper. Arme und Beine kribbelten, als würden Ameisen unter der Haut leben. Zu schwach, auch nur einen Finger zu heben, hockte sie da.
Madame hämmerte bereits gegen die Tür und verlangte eine genaue Beschreibung der Symptome. Kate würgte die Antworten hervor, obwohl jedes Wort sie ungeheuer anstrengte. Andernfalls würde Madame sie später für mangelnde Mitarbeit bestrafen, daran erinnerte sie sich schmerzhaft.
Weitere Kostenlose Bücher